Veranstaltung: | 54. Bundeskongress der GRÜNEN JUGEND |
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Tagesordnungspunkt: | A Startpunkt Krise – Aufbruch in ein neues Morgen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Mitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 31.10.2020 |
Eingereicht: | 11.11.2020, 17:57 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Startpunkt Krise – Aufbruch in ein neues Morgen!
Beschlusstext
Soziale Spaltung, Klimakrise, massenhaftes Artensterben, Krise unseres
Gesundheitssystems und eine drohende Wirtschaftskrise: Wir befinden uns in einer
Zeit der Krisen, was nicht erst durch die Corona-Pandemie gesellschaftlich
sichtbarer und spürbarer wird. Marode Gesundheitssysteme, steigende Armut und
keine Aussicht auf Verbesserung: Die gesellschaftlichen Konsequenzen von
Marktlogik und Zwang zur Profitmaximierung zeigen sich so deutlich wie seit
Jahrzehnten nicht mehr. Und diese Krisenhaftigkeit ist kein Zufall: Krisen
wohnen unserem System inne und sind ein Wesensmerkmal des Kapitalismus. Die
Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander. Während man auf schnellstem
Weg großen Konzernen Rettungspakete schnüren konnte, blieben die Ärmsten der
Gesellschaft außen vor. Wer vorher schon im Niedriglohnsektor gesteckt hat,
rutscht spätestens mit dem Kurzarbeitergeld in Armut. Armut ist mehr als das
Unvermögen einzelner, sie ist systemisch: Eine Wirtschaft, die sich an
Profitmaximierung orientiert, missachtet unter diesem Anspruch systematisch die
Befriedigung selbst der grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse. Wenn schlechte
Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne gut für die Wirtschaft sind, dann wird
klar: Dass es uns gut geht, solange es der Wirtschaft gut geht, ist nicht mehr
als eine Ausrede, um Profitinteressen zu verschleiern.
Arbeit strukturiert Gesellschaft - doch wie sie die Gesellschaft strukturiert,
ist zutiefst ungerecht. Während wenige davon leben können, dass andere für sie
arbeiten, müssen viele gegen Lohn arbeiten gehen, der ihnen im schlimmsten Fall
nicht mal zu einem Leben in Würde reicht oder werden gleich durch Hartz IV in
Armut gedrängt. Am härtesten trifft es die, die noch nie eine Lobby hatten,
beispielweise weil sie schon seit mehreren Generationen in Hartz IV leben oder
für ein Taschengeld weit unter dem Mindestlohn in einer Werkstatt für behinderte
Menschen arbeiten müssen. Diese Verhältnisse sind nicht durch Zufall so
entstanden. Die knapp 1,5 Millionen deutschen Millionär*innen haben nicht
einfach ein bisschen härter gearbeitet oder irgendwie Glück gehabt. Kapitalismus
baut darauf auf, dass es Menschen gibt, die besitzen, und andere, die dafür
arbeiten müssen.
Und auch die Klimakrise ist nicht nur das Ergebnis einzelner schlechter
Entscheidungen oder die Konsequenz unbekannter Fakten. Sie hat ihren Ursprung in
einem System, das auf Ungerechtigkeit basiert und das Mensch und Natur
ausbeutet. So sind auch die Folgen der Klimakrise zutiefst ungerecht verteilt
und diejenigen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, sind am
härtesten von ihr betroffen. Doch Lösungen für die Eindämmung der Klimakrise
kratzen immer noch nur an der Oberfläche, statt ihre Ursachen an der Wurzel zu
packen. Diese Krisen lassen Risse im Status Quo entstehen. An ihnen wird klar:
was wir brauchen, sind grundlegend neue Maßstäbe und Regeln, nach denen unsere
Gesellschaft organsiert ist. Wir wollen mit systemischen Lösungen an diesen
Krisen ansetzen, um den Politikwechsel zu schaffen.
Das Gute Leben für alle!
Wir kämpfen für ein System, das sich nicht länger daran orientiert, wo der
meiste Profit generiert werden kann, sondern daran, welche Bedürfnisse eine
Gesellschaft hat. Um bedürfnisorientiert zu Wirtschaften müssen wir uns deswegen
von Profit- und Wachstumszwängen lösen. Was wir dafür brauchen, ist ein
radikaler Wandel der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft und unsere
Wirtschaft organisiert sind. Wir müssen Bereiche der demokratischen Kontrolle
zuführen und dafür dem Markt entziehen. Grundrechte wie Mobilität, Gesundheit
oder Wohnen oder unsere Energieversorgung sind Bereiche, in denen wir uns nicht
länger leisten können, dass Gewinninteressen von wenigen über den Bedürfnissen
von vielen stehen. Nicht Konzerne, sondern wir als Gesellschaft, müssen darüber
entscheiden, was und zu welchen Bedingungen produziert wird. Nur so können wir
die Herausforderungen unserer Zeit wie soziale und wirtschaftliche
Ungerechtigkeit und ökologische Krisen angehen. Unsere Vision ist eine Welt, in
der niemand in Armut leben muss, in der niemand ausgebeutet wird und in der der
Wert eines Menschen nicht an seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit festgemacht
wird. Ein System, in der durch radikale Klimapolitik das 1,5-Grad-Ziel noch
eingehalten werden kann und in der gesellschaftliche Arbeit gerecht verteilt
wird, ist möglich. Was wir dafür brauchen, ist eine Demokratisierung unserer
Wirtschaft und unserer Gesellschaft, die allen Menschen Mitbestimmung ermöglicht
und eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Das derzeitige System kann nur fortbestehen, wenn es Ressourcen gibt, die
ausgebeutet werden können und Auslagerung möglich ist. Grundvoraussetzung für
das Entstehen des Kapitalismus war die rassistisch legitimierte, gewaltvolle
Aneignung von Ressourcen und die Versklavung von Menschen in Zeiten des
Kolonialismus. Ausgrenzung und Ungerechtigkeit ermöglichen auch heute, dass das
System erhalten bleibt. Deswegen ist es wichtig, unsere Kämpfe global zu denken
und sowohl bei der Bekämpfung der Klimakrise als auch in Arbeitskämpfen
diejenigen nicht zu vergessen, die von der Externalisierung am stärksten
betroffen sind: Die Ausbeutung von Lohnabhängigen und von Natur im Globalen
Süden muss endlich beendet werden. Weltweit leiden Menschen unter der
Unterdrückung im Kapitalismus und wir alle wissen: Die Klimakrise wird nicht
mehr lange einzudämmen sein. Ein Leben in Freiheit und Würde für alle Menschen
weltweit ist letztendlich nur möglich, wenn wir den Kapitalismus überwinden.
Schritte des Aufbruchs
Arbeitskämpfe sind zentral für die Ausgestaltung unseres Zusammenlebens. Gerade
entscheiden nur wenige Menschen darüber, wie unsere Arbeit organisiert ist. Das
wollen wir nicht länger hinnehmen: Zeit, Arbeit zu demokratisieren! Deswegen
fordern wir eine Arbeitszeitverkürzung auf 20 Stunden bei vollem Lohnausgleich!
So realisieren wir eine stärkere Beteiligung der Arbeiter*innen am
erwirtschafteten Profit und machen gleichzeitig den Weg frei für ein neues
Verhältnis zu Arbeit: Wir schaffen Zeit für Engagement, Bildung, Beziehungen und
für einen selbst.
Arbeitszeitverkürzung ist feministisch!
Aktuell arbeiten in Deutschland ca. 47% aller Frauen und nur 15% aller Männer in
Teilzeit. Das liegt auch daran, dass der größte Teil der unbezahlten Sorgearbeit
aktuell von Frauen geleistet wird. Zu dieser Arbeit gehören unter anderem
Kinderbetreuung, Hausarbeit oder Pflege von Angehörigen. Wenn diese Tätigkeiten
nicht mit einem Vollzeitjob vereinbar sind, sind es folglich in erster Linie
Frauen, die für diese Tätigkeiten ihre Arbeitszeit reduzieren. Wir wollen durch
die Arbeitszeitverkürzung eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit schaffen.
Doch das allein wird nicht reichen. Solange einige wenige darüber entscheiden,
was produziert wird, welches Bedürfnis befriedigt, welches neu geschaffen und
welches vernachlässigt wird, solange wird Arbeit nicht dem Wohle der
Gesellschaft dienen. Arbeit zu demokratisieren heißt auch, dass wir entscheiden
wollen, für was wir arbeiten und was wir produzieren. Demokratische Strukturen
müssen in der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen, die “unsichtbare Hand des
Marktes” ist nicht nur undemokratisch, sie löst unsere Krisen nicht, sondern
löst sie aus. Unternehmen müssen für die Menschen da sein und sollten
dementsprechend auch von ihnen gestaltet werden. Wir fordern als ersten Schritt
mindestens 50 Prozent der Plätze in Aufsichtsräten und Vorständen von
Unternehmen durch Arbeiter*innen zu besetzen. Langfristig ist unser Ziel, dass
keine Profite mehr auf Kosten der Arbeiter*innen und der Gesellschaft gemacht
werden können.
Wir wollen eine Wirtschaft, in welcher soziale, ökologische, demokratische und
inklusive Maßstäbe das Handeln der wirtschaftlichen Akteure bestimmen. Ein
Schritt um diese Vision zu ermöglichen ist ein politischer Rahmen, der diese
fördert. Kein Unternehmen soll sich zwischen guten Löhnen und Umweltschutz
entscheiden müssen. Unternehmen die nach diesen Maßstäben handeln, sollten
Vorteile im Bezug auf Steuern und Zölle sowie bei der Vergabe von öffentlichen
Aufträgen und Krediten zugestanden werden, während Unternehmen, welche
abweichend dieser Maßstäbe handeln, durch dieses Anreizsystem in eine andere
Richtung gelenkt werden sollen.
Unternehmen gehören in die Händer derer, die in ihnen
arbeiten.
Wer etwas in unserer Gesellschaft grundlegend verändern will, muss
gesellschaftlichen Reichtum gerecht verteilen. Dafür braucht es eine starke
Gesellschaft, die solidarisch zusammenhält und einen Staat, der einen massiven
Umbau des Steuersystems in Angriff nimmt. Unser Augenmerk muss auf der
Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums liegen. Neben einer progressiven
Vermögenssteuer, sowie einer progressiven Finanztransaktionssteuer ist auch eine
Reform der Erbschaftssteuer von Nöten. Wir stehen für eine gestaffelte und
deutlich verschärfte Erbschaftssteuer, die auf dem familiären Verhältnis und dem
bisherigen Reichtum der Erb*innen basiert. Ab einer Millionen Euro kann eine
Erbschaftssteuer von bis zu 100% erhoben werden. Unternehmen oder
Unternehmensanteile, die unter diesen Bedingungen nicht vererbt werden können,
werden in die Hände der Allgemeinheit oder der Belegschaft übergeben. Damit
legen wir den Grundstein für eine wahrhaft soziale Daseinsfürsorge für alle und
verhindern die überproportionale Machtausübung durch wenige reiche Individuen.
Es ist ökologisch und ökonomisch gefährlich, dass die Bundesregierung auf der
Investitionsbremse steht und am Dogma der schwarzen Null festhält. So wird seit
Jahren eine staatliche Daseinsvorsorge verhindert, Schulen, Bibliotheken und
Schwimmbäder werden kaputtgespart. Wir setzen uns für ein Investitionspaket ein,
das die sozial-ökologischen Krisen ernst nimmt und aktiv dagegen ansteuert. Um
gut gegen die Wirtschaftskrise gewappnet zu sein, die die Coronakrise mit sich
bringt, brauchen wir jetzt Investitionen in unseren Bahnverkehr, den
öffentlichen Nahverkehr und eine Grundsicherung, die armutsfest ist. Ebenfalls
brauchen wir eine Offensive in der finanziellen Unterstützung der jungen
Menschen: Bafög endlich für alle Studierenden öffnen und die
Ausbildungsvergütung besonders in Zeiten der Krise zu 100% weiterführen. Schulen
müssen Orte des Lernens für alle sein. Deshalb müssen sie so ausgestattet
werden, dass an ihnen vollkommen unabhängig vom Geldbeutel gelernt werden kann.
Nur so schaffen wir eine wirklich solidarische Gemeinschaft.
Sozialer Umbau und eine Wirtschaft, die Menschen dient, endet nicht an Grenzen.
Die Austeritätspolitik besonders im europäischen Süden hat fehlende
Gesundheitsinfrastruktur, Jugendarbeitslosigkeit und existentielle Armut mit
sich gebracht. Die Folgen können wir während der Coronakrise beobachten, die in
Ländern wie Italien und Spanien nicht zufällig besonders hohe Opferzahlen
gefordert hat. Damit muss Schluss sein! Ein wirklich demokratisches und soziales
System fußt niemals auf dem Leid Anderer.
Deshalb fordern wir eine schnelle und umfassende Abkehr vom Sparkurs der EU.
Den wahren Preis unseres Wirtschaftens auf dem Markt zahlen andere.
Umweltverschmutzung und die Zerstörung von Ökosystemen, aber auch schwere
Arbeitsrechtsverletzungen und globale Krisen wie die Klimakrise und massenhaftes
Artensterben, treffen den globalen Süden am schwersten. Als ersten Schritt gegen
die globale Ausbeutung von Mensch und Natur fordern wir ein konsequentes
Lieferkettengesetz für die Europäische Union. Zudem muss ein poltischer Rahmen
geschaffen werden, in dem Firmen Verantwortung, beispielsweise für soziale
Gerechtigkeit und Klimaschutz, übernehmen müssen. Unser Ziel aber muss eine
globale Wirtschaft sein, in der Ausbeutung und Klimazerstörung der Vergangenheit
angehören!
Gemeinsam in ein neues Morgen
In den letzten Jahrzehnten war die politische Debatte geprägt von Systemerhalt
und Stillstand. Systemkritik wurde und wird teilweise immer noch als Tabu
behandelt. Wer dafür einstand, für eine andere Art des Wirtschaftens zu kämpfen,
wurde als Antidemokrat*in bezeichnet und an den Verfassungsschutz verwiesen. Die
Gleichsetzung von profitmaximierender Wirtschaftsweise und Demokratie dient so
schon lange dazu, Debatten rund um die kapitalistische Gesellschaftsordnung und
Systemfragen zu verhindern und sorgt dafür, dass der gesellschaftliche Diskurs
entpolitisiert wird. Während die Gesellschaft immer liberaler wurde, wurden
trotzdem Kämpfe für eine gerechtere Gesellschaft, insbesondere auch im globalen
Kontext, eine gleichere Verteilung des Reichtums sowie für bessere
Arbeitsverhältnisse in vielen Bereichen immer wieder verloren. Dabei ist es
genau das Gegenteil: Es ist nicht demokratisch, dass uns als Gesellschaft ein
Zugriff auf die grundlegendsten Bereiche unseres Zusammenlebens verwehrt bleibt:
Produktions-, Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse. Doch immer mehr Menschen
begehren auf und wollen nicht weiter hinnehmen, dass eine Politik gemacht wird,
die den Interessen der Vielen entgegensteht. In den letzten Jahren haben wir
erlebt, wie sich breite gesellschaftliche Bündnisse bildeten, die auf der Straße
gegen den Status Quo mobilisierten, sei es Fridays for Future, die Seebrücke
oder Unteilbar.
Corona hat viele vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt. Wir
haben gesehen, wie krisenhaft unsere Gesellschaft ist. Wir haben gesehen, wie
die Schwarze Null gefallen ist und wir haben gesehen, dass Politik
handlungsfähig sein kann. Schon lange haben wir nicht mehr so grundsätzlich
darüber diskutiert, wie wir zusammenleben wollen, wie im letzten Jahr. Als GRÜNE
JUGEND glauben wir, dass eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse nicht
nur möglich, sondern auch absolut notwendig ist. Deswegen verfolgen wir eine
politische Praxis, die sowohl auf konkrete Verbesserung im Hier und Jetzt zielt
und gleichzeitig einen Weg in eine Zukunft jenseits des Kapitalismus aufzeigt.
Wir erteilen jenen, die versuchen, den Status Quo zum Naturgesetz zu erklären,
eine Absage und kämpfen für eine Welt, die sich an den Bedürfnissen der Vielen
orientiert, statt an den Profiten Einzelner. Es kommt jetzt darauf an: Um für
den Politikwechsel zu kämpfen, braucht es ein neues gesellschaftliches Bündnis
und eine Organisierung linker und progressiver Kräfte. Der GRÜNEN JUGEND kommt
dabei eine wichtige Rolle zu. Als linker und progressiver Richtungsverband
arbeiten wir im nächsten Jahr gemeinsam mit vielen anderen Akteur*innen daran,
eine Gegenerzählung zu entwickeln. Der Kampf um das gute Leben ist noch lange
nicht verloren. Er geht gerade erst los.