Veranstaltung: | 54. Bundeskongress der GRÜNEN JUGEND |
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Tagesordnungspunkt: | A Startpunkt Krise – Aufbruch in ein neues Morgen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Mitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 31.10.2020 |
Eingereicht: | 11.11.2020, 18:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Armut bekämpfen, Absicherung für alle!
Beschlusstext
Vor 17 Jahren trat die Agenda 2010 in Kraft und damit auch ein massiver Umbau
des Sozialstaats. Das Ziel der Agenda war es, „den Standortfaktor Deutschland zu
stärken“ und die sogenannte Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Eindrücklich hat
sie gezeigt, dass nicht alles, was für die Wirtschaft gut ist, auch für die
Menschen gut ist. Im Zweifel heißt Standortfaktoren zu stärken nämlich, Löhne zu
senken und soziale Sicherungssysteme abzubauen.
Mit der Lockerung von Arbeiter*innenrechten schaffte man den größten
Niedriglohnsektor Europas. Was auf der einen Seite attraktiv für Unternehmen
ist, hat auf der anderen Seite Millionen von Menschen Armut gebracht. Fast
jede*r vierte Lohnarbeiter*in lebt heute knapp über oder unter der Armutsgrenze.
Mit Hartz 4 wurde eine Leistung geschaffen, die nicht zum Ziel hatte, Menschen
abzusichern und vor Armut zu schützen. Die Prinzipien von „Fordern und Fördern”
haben zum Ziel, Menschen schnellstmöglich zurück in den Arbeitsmarkt zu drängen.
Gefördert wird dabei jedoch lediglich der Niedriglohnsektor. Wer wählen muss
zwischen einer prekären Beschäftigung und der Aussicht, mit Hartz 4
zurückgelassen zu werden, hat keine richtige Wahl. Was dabei verloren geht, ist
das Recht auf Selbstbestimmung und die eigene Lebensgestaltung, sowie die
Perspektive, diesen Teufelskreis aus eigener Kraft verlassen zu können.
Eine Frage der Demokratie
Das Zusammenspiel von dem Auflösen sicherer Arbeitsverhältnisse und dem Wissen
darum, dass Hartz 4 keine wirkliche Existenzsicherung ist, führt zu einem
Verlust von Sicherheit und Vertrauen in Politik, Demokratie und Rechtsstaat und
damit auch zu einer gesellschaftlichen Spaltung. An dieser Spaltung versuchen
Rechte stetig mit ihren menschenfeindlichen Ideologien anzuknüpfen.
Spätestens damit wird das sozial- und arbeitsmarktpolitische „Weiter so!” zur
fahrlässigen Gefährdung für unsere Demokratie. Die aktive Verweigerung von
konservativer und marktliberaler Politik, Armut in unserer Gesellschaft
konsequent zu bekämpfen, kommt der Förderung gesellschaftlicher Spaltung gleich.
Soziale Fragen betreffen nicht nur die diejenigen, die unmittelbar von Armut und
Ausbeutung betroffen sind, sondern uns alle: An ihnen misst sich, wie krisenfest
eine Gesellschaft ist und wie ernst wir das Versprechen auf gleichwertige
Lebensverhältnisse und den Anspruch auf ein Leben in Würde meinen. Der Kampf für
mehr soziale Gerechtigkeit ist ein Kampf für unsere Demokratie.
Gesellschaftliche Spaltung und der ständige Druck, nicht in Armutsverhältnisse
abzurutschen, führen zu Konkurrenzkampf, Abgrenzungskämpfen und verhindern
Solidarität und Zusammenhalt innerhalb unserer Gesellschaft. Es ist unsere
Pflicht als Verteidiger*innen der Demokratie, eine standhafte soziale
Absicherung und echte Perspektiven für gesellschaftliche und ökonomische
Teilhabe zu schaffen.
Dass es Armut gibt, ist kein Naturgesetz. Sie entspringt einer Gesellschaft, die
auf Klassengegensätzen aufbaut. Dass Wenige immer reicher werden können, liegt
nicht zuletzt daran, dass es auf der anderen Seite Ausbeutung und Armut gibt.
Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden so aktiv aufrecht erhalten. Doch
wir sind nicht machtlos gegenüber diesem Ungleichgewicht, gesellschaftliche
Verhältnisse sind veränderbar: Gemeinsam kämpfen wir für eine Gesellschaft, in
der niemand in Armut leben muss, denn es reicht für uns alle! Wir brauchen eine
vollständige Abkehr von der Agenda 2010 und ihrem neoliberalen Geist. Im Fokus
unserer Politik stehen die Bedürfnisse der Vielen und nicht die Profitinteressen
der Wenigen.
Armut und Ausbeutung bekämpfen, dem Niedriglohnsektor den
Kampf ansagen!
Schnell denkt man bei Armut nur an Arbeitslosigkeit. Jedoch leben viele Menschen
in Armut, weil sie im Niedriglohnsektor feststecken. Unsere viel zu niedrigen
Mindestlöhne, Werkverträge, Leiharbeit und jahrelange Fehlentwicklungen im
Niedriglohnsektor zwingen schon jetzt Menschen, die arbeiten gehen, mit Hartz 4
aufzustocken.
Besonders die Berufsgruppen, die wir in der Coronakrise als
gesellschaftsrelevant erlebt haben, wie Pflege, Supermarktmitarbeiter*innen,
Putzkräfte und Menschen in der Ernte, im Schlachtbetrieb oder in der Baubranche
werden in den Niedriglohnsektor gezwungen und bekommen weniger Lohn als ihnen -
gemessen am gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit - zusteht. Unter der Prämisse
der Finanzkrise 2008 rechtfertigen Politiker*innen und Arbeitgeber*innen immer
noch prekäre und befristete Arbeitsverhältnisse, verdienen sich damit eine
goldene Nase oder rühmen sich mit einer niedrigen Arbeitslosenquote. Doch diese
Zahlen sind keine wirklichen Indikatoren für Wohlstand oder Gerechtigkeit - die
Folgen der Krise werden weiterhin auf den Schultern der Ärmsten abgeladen. Damit
muss Schluss sein. Wir sagen dem ausbeuterischen Niedriglohnsektor den Kampf an
und fordern:
- Einen armutsfesten Mindestlohn, der mindestens bei 15 Euro liegt und
ausnahmslos in jedem Alter und jedem Beschäftigungsverhältnis gilt,
ausdrücklich auch in Werkstätten für behinderte Menschen
- Die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen
- Die Umwandlung aller Minijobs in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse
- Ein Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen
- Ein Verbot sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen
Absicherung für alle: Ein Sicherheitsnetz, das niemanden
zurücklässt!
Wenn Menschen arbeitslos werden, braucht es ein Sicherheitsnetz, das sie
auffängt. Eine Grundsicherung ist ein Grundrecht und darf kein Instrument sein,
um Menschen wieder auf den Arbeitsmarkt zu zwingen. Hartz 4 ist dazu nicht in
der Lage, deswegen müssen wir es überwinden. Wir brauchen eine Grundsicherung,
die niemanden zurücklässt und Menschen auffängt, sie effektiv vor Armut schützt
und ihnen ein Leben in Würde und ohne Stigma und somit den Zugang zu
gesellschaftlicher, demokratischer und wirtschaftlicher Teilhabe ermöglicht. Zur
Finanzierung braucht es eine höhere Besteuerung von Einkommen, Vermögen und
Erbschaften. Als Eckpfeiler fordern wir:
Ein Ende der Sanktionierung: Sanktionen sind ein Mittel, um Menschen in
Lohnarbeit zu zwingen, die nicht selten schlecht bezahlt, befristet oder
fern von den Interessen der jeweiligen Person liegen. Niemand darf zur
Arbeit gezwungen werden. Das Existenzminimum ist bedingungslos zu
gewährleisten, denn alles andere ist menschenunwürdig.
Eine armutsfeste Höhe: Hartz 4 ist künstlich kleingerechnet und liegt
mindestens 200 Euro unter dem tatsächlichen Existenzminimum. Dadurch
verwehrt man Menschen Sicherheit und die Möglichkeit für Teilhabe an der
Gesellschaft. Wir fordern eine Grundsicherung in Höhe von mindestens 1100
Euro. Mitinbegriffen sind sowohl das Existenzminimum als auch die Kosten
der Unterkunft. Die individuelle Lebenssituation muss es dabei weiter
möglich machen, Mehrbedarfe zu beantragen.
Eine automatische Auszahlung: Die Grundsicherung soll automatisch an alle
ausgezahlt werden, die in keinem Lohnarbeitsverhältnis sind. Niemand in
Lohnarbeit sollte mit der Grundsicherung noch aufstocken müssen, um über
die Armutsgrenze zu kommen. Solange es noch keinen armutsfesten
Mindestlohn gibt, sorgt die Grundsicherung dafür, dass niemand unterhalb
der Armutsgrenze leben muss. So machen wir Schluss mit verdeckter Armut.
Als Mittel zur Automatisierung kann sich eine Eingliederung ins
Steuersystem eignen.
Kinder haben ein Recht und einen eigenständigen Anspruch auf die Sicherung ihres
Existenzminimums. Wir fordern:
Eine Kindergrundsicherung: Aktuell wird Familien in Hartz 4 das Kindergeld
angerechnet, während wohlhabende Familien sogar einen höheren Betrag als
das Kindergeld durch Steuerfreibeträge erhalten. Das ist nicht gerecht!
Wir wollen das Kindergeld durch die Kindergrundsicherung ablösen. Sie
stellt sicher, dass die Familien, die es am meisten benötigen, die meiste
finanzielle Unterstützung erhalten. Alle Familien bekommen den selben
Grundbetrag von mindestens 300 Euro, der das jetzige Kindergeld ersetzt.
Dazu kommt ein Zusatzbetrag, der mit dem Einkommen der Eltern abschmilzt.
Eine gute Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht und darf nicht vom
Geldbeutel abhängen. Gleichzeitig wird eine schlechte Gesundheitsversorgung
schnell zur Armutsfalle, deswegen fordern wir:
Eine Bürger*innenversicherung: Unser Gesundheitssystem ist in zwei Klassen
unterteilt: Privat- und gesetzliche Krankenkassen. Um endlich aus diesem
ungerechten System auszusteigen, fordern wir eine Bürger*innenversicherung
für alle. Sie garantiert, dass niemand bei der Terminvergabe aufgrund des
höheren Einkommens bevorzugt wird und sichert allen Menschen unabhängig
vom Geldbeutel gleichberechtigt die notwendige Gesundheitsversorgung zu.
Der Kampf gegen soziale Spaltung ist nur zu gewinnen, wenn wir uns
zusammenschließen. Als GRÜNE JUGEND reihen wir uns in die Kämpfe der
Arbeiter*innen ein und machen klar: Eine Gesellschaft ohne Armut ist möglich!