Einen Antrag auf Befreiung vom Mitgliedsbeitrag stellt niemand aus Spaß, sondern, weil dieser Beitrag nicht gezahlt werden kann. Dies ist aus Sicht der jeweils betroffenen Person zu betrachten. Dem Bundesvorstand hier ein Ermessen einzuräumen wäre geradezu Wahnsinn:
Wer wird noch einen Antrag auf Befreiung stellen, wenn bei diesem die eigene wirtschaftliche Situation offengelegt werden muss (nur mit dieser Interpretation ergibt die konkrete Formulierung Sinn). Dadurch entscheidet dann ein ggf. noch unbekanntes Gremium über die Frage, ob die den Antrag stellende Person auch "arm genug" ist um einen Antrag auf Befreiung stellen zu können bzw. diesem Antrag stattzugeben.
Das ist insgesamt entwürdigend, wenn es so käme, und entspricht definitiv nicht dem Maßstab, den wir an uns selbst und an die Gesellschaft haben. Wir arbeiten immerzu mit dem Vertrauen in unsere Mitglieder, dass Instrumente nicht missbraucht werden. Es wäre also geradezu grotesk, wenn wir an diesem Punkt einem Missbrauch vorbeugen wollten, der gar nicht existiert, weil wir uns untereinander misstrauen damit umzugehen.
Sozialscham, die wir eigentlich verringern wollen, entsteht so im Verband bzw. wird größer: Mitglieder werden sich unter Umständen die Frage stellen, ob ihre Situation die Kriterien erfüllt um den Antrag zu stellen und im Zweifel Beiträge zahlen, die sie sich nicht leisten können oder ggf. gar nicht Mitglied werden bzw. deswegen nicht mehr Mitglied sein (können).
Dazu kommt, dass der Zweck der Missbrauchsprävention dadurch nicht erfüllt ist. Wer einfach nur Geld sparen möchte, wird immer die Möglichkeit haben durch jeweils gerade passende Darstellung und Vorspiegelung von Tatsachen die Befreiungsmöglichkeit zu missbrauchen.
Zusammenfassend lässt sich über die Begründungspflicht also folgendes sagen:
Sie setzt Mitglieder unter Druck und einem entwürdigenden Verfahren aus, kann andererseits den befürchteten Missbrauch weder verhindern noch abmildern. Sie schafft eine Barriere, führt ob der Formalisierung (Schriftform, also nicht elektronisch, unterschrieben etc.) zu potentiell weniger Feingefühl in Entscheidungen, gibt ihrerseits Menschen eine Missbrauchsmöglichkeit der Macht, die es mit sich bringt über andere zu entscheiden und ist, einmal zu Ende gedacht, auch datenschutzrechtlich nicht ganz unstrittig: Es ist beispielsweise nicht klar, wie es funktionieren soll Kontaktdaten zu löschen o.ä. aber das ganze Jahr das Wissen darüber zu speichern, wer wie hinterlegt, ob sie oder er einen begründeten Antrag gestellt hat, wer einen unbegründeten Antrag gestellt hat, wie die Beschwerdemöglichkeit gegen eine solche Entscheidung nicht zu befreien aussehen kann und was in der Schwebephase mit den daten geschieht, ob der Antrag dann zu jedem Halbjahr neu gestellt werden und neu begründet werden muss, wie sich darauf die Befreiung von Teilnahmebeiträgen beim Bundeskongress, bei seminaren, beim Frühjahreskongress o.ä. auswirkt.
Außerdem ist ein solches Ermessen dazu geeignet, das eigene Zutrauen Kritik an Strukturen oder Personen zu üben, was zur stetigen Optimierung unseres Verbandes unerlässlich ist, einzuschränken.
Es gibt also nicht wirklich einen Grund ein solches Ermessen einzuräumen, jedoch gefühlt tausend Argumente, warum ein solches Ermessen nicht bestehen sollte.