Veranstaltung: | 54. Bundeskongress der GRÜNEN JUGEND |
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Tagesordnungspunkt: | A Startpunkt Krise – Aufbruch in ein neues Morgen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Mitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 31.10.2020 |
Eingereicht: | 11.11.2020, 18:57 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Freiheit sichern: Gegen den autoritären Umbau!
Beschlusstext
Mit diesem Beschluss bekräftigen wir unsere beschlossenen Forderungen vom 52.
Bundeskongress im Antrag „Das muss eine Demokratie aushalten können“ und machen
diese zur Grundlage unserer Forderungen für das grüne Bundestagswahlprogramm.
Deutschland hat ein kontinuierliches Naziproblem, das gerade in den
Sicherheitsbehörden unübersehbar zutage tritt, sich dabei über die Jahrzehnte
aber nur in immer neuen Facetten zeigt. Ob Angriffe auf Geflüchtete, Anschläge
auf linke Politiker*innen und Aktivist*innen oder Hetzkampagnen gegen Frauen im
Internet: Rechte versuchen seit Jahrzehnten, durch Angst, Terror und gezielte
Diskursverschiebung ihre Vorstellungen einer homogenen Gesellschaft in die Tat
umzusetzen. Seit der AfD gelingt es ihnen, das lauter und auf größeren Bühnen zu
sagen, als viele aus der vermeintlichen „Mitte der Gesellschaft” in einem
Deutschland nach 1945 noch für denkbar gehalten haben. Während People of Color
und – besonders ostdeutsche – Antifaschist*innen seit Jahren davor warnen,
während Recherchenetzwerke immer wieder Waffenlager und geheime
Kampfsporttrainings für den „Tag X“ aufdecken, schauen die, die uns Sicherheit
versprochen haben, systematisch weg. Polizei, Verfassungsschutz,
Innenministerien: Es scheint, als wüssten sie von diesem Problem nichts. Dass
sie das sehr wohl tun, ist uns nicht erst seit der Selbstenttarnung des NSU und
den begleitenden Untersuchungsausschüssen schmerzlich bewusst. Doch die Behörden
zeigen wenig Interesse daran, rechte Netzwerke oder rassistische Strukturen
aufzudecken, geschweige denn dagegen vorzugehen.
Die Gründe dahinter sind vielfältig: Eine der, dabei viel zu oft außer Acht
gelassenen, Ursachen liegt im Zusammenhang von Kapitalismus und Rassismus. Der
neoliberale Leistungs- und Konkurrenzgedanke ist eng verbunden mit offen rechter
Ideologie. Extreme ökonomische Ungleichheit wird im Neoliberalismus als normal
oder sogar als gerecht dargestellt. Der Schritt zu einer Befürwortung von
Ungleichheit zwischen Menschen ist dann nicht mehr weit: Rassismus und Sexismus
sind Ideologien, die bestehende Ungleichheiten rechtfertigen und als natürlich
darstellen wollen.
Die antifaschistische Gegenposition der Forderung nach Gleichheit, Gerechtigkeit
und ein Leben in Würde widerspricht sowohl der neoliberalen Normalisierung, wie
auch der offenen rechten Propagierung von Ungleichheit. Ein weiteres prägnantes
Beispiel für die ideologische Nähe ist die Konkurrenz, die der Neoliberalismus
zu einem sinnvollen Prinzip gesellschaftlichen Zusammenlebens erklärt. Es führt
zu der Behauptung, dass man sich gegen andere durchsetzen müsse, um das eigene
Glück zu mehren. Angewandt auf scheinbar homogene Gruppen wie Nationen oder
Ethnien, bedeutet dieses Prinzip den Kampf gegeneinander – was an sich schon
rechts ist; noch konsequenter angewandt bedeutet das den puren, rechtsextremen
Sozialdarwinismus. Dieser Zusammenhang ist einer der Gründe, die in den letzten
Jahren zu einer Politik der „Versicherheitlichung“ geführt haben: Immer öfter
ist die Antwort auf gesellschaftliche Probleme eine autoritäre, die von
Repression und Gewalt geprägt ist. Dabei wird dem Streben nach vermeintlicher
Sicherheit mehr und mehr untergeordnet. Sich gegen den autoritären Umbau der
Gesellschaft zu stellen, heißt daher auch, zu hinterfragen, was eigentlich
Sicherheit ist und was als Sicherheitsproblem wahrgenommen wird.
Neben dem neoliberalen Leistungs- und Konkurrenzdenken und der tief verwurzelten
rassistischen Abgrenzung von anderen, sind es im besonderen auch rechte
Kontinuitäten in deutschen Sicherheitsapparaten, die das Problem befeuern, statt
es zu bekämpfen. Dass Rechte sich besonders bei der Polizei oder dem
Verfassungsschutz wohlfühlen, ist dabei kein Zufall. Schon an der Gründung der
heute bestehenden Sicherheitsbehörden nach 1945 waren diverse Nazigrößen und SS-
Kader fest eingebunden und beteiligt. Es war der Normalfall, dass Nazis auch
nach den NS-Verbrechen munter weiter Karriere machen konnten - insbesondere in
Behörden.
Rassistische Kontinuitäten in der Polizei
Mit diesem Hintergrund verwundern die zahllosen Fälle von Polizeigewalt gegen
People of Color und Linke ebenso wenig, wie die schwer zu überblickende Zahl an
rechten Chatgruppen, die gerade bundesweit auffliegen. Es geht dabei keineswegs
um Einzelfälle und das Fehlverhalten einzelner Polizist*innen: Die Strukturen
der Polizei begünstigen rassistischens und autoritäres Verhalten. Das muss sich
ändern, und zwar grundlegend: Der Einsatz staatlicher Gewalt muss eng
kontrolliert werden, Fehlverhalten muss zu spürbaren Konsequenzen führen und
Racial Profiling und anderen Diskriminierungen die Grundlage entzogen werden.
Dafür braucht es unabhängige Ermittlungsstellen mit umfassenden
Ermittlungskompetenzen, Polizeibeauftragte bei den Parlamenten und eine
anonymisierte Kennzeichnungspflicht für alle Einheiten. Ebenfalls muss die immer
weiter fortschreitende materielle Aufrüstung der Polizei enden. Wir brauchen
keine weitere Militarisierung der Polizei! Betroffene von Racial Profiling
sollen übermäßige Kontrollen durch Einführung eines verpflichtenden Ticket-
Systems nachweisen können. Außerdem braucht es eine völlig neue Aus- und
Weiterbildung, die sich an diskriminierungsfreiem Handeln, Kommunikation,
Deeskalation und Konfliktprävention orientiert und regelmäßige verpflichtende
Schulungen im Bereich Antirassismus beinhaltet.
Doch so dringend eine Reform der Polizei auch geboten ist: Auch die beste
Polizei kann gesellschaftliche Probleme nicht lösen, sondern allenfalls deren
Symptome bekämpfen. Der beste Polizeieinsatz ist deshalb einer, der gar nicht
erst nötig wird. Wer genug zum Leben hat, fängt seltener an, Geldbeutel zu
stehlen; wer bei Bedarf psychologische Begleitung bekommt, wird selten zur
Gefahr und wer Asylstatus genießt, muss nicht brutal abgeschoben werden. Und
natürlich braucht es zum Schutz der Betroffenen eine verantwortungsvolle und
staatlich kontrollierte Abgabe von Drogen, statt den längst verlorenen Kampf
dagegen mit immer absurderen Repressionen verzweifelt weiterzukämpfen.
Verfassungsschutz: Teil des Problems
Nur zu deutlich sieht man die beschriebenen Probleme am Verfassungsschutz. Die
zahlreichen Skandale, die rechten Netzwerke, in die der Verfassungsschutz selbst
eingebunden war oder diese mindestens gedeckt hat, sind dabei Kontinuitäten, die
nicht nur in der Vergangenheit liegen. Der Verfassungsschutz versagt damit nicht
nur, er stellt eine aktive Gefahr da, wie beispielsweise am NSU-Komplex
besonders deutlich wurde: Wenn der Verfassungsschutz nichts vom NSU wusste, dann
ist er unnütz. Aber wenn er davon wusste, dann ist er gefährlich. Doch selbst
die wenigen Reförmchen, die als Konsequenz aus dem NSU-Komplex gezogen wurden,
werden in vielen Bundesländern wieder Stück für Stück zurück gedreht.
Die Untauglichkeit des Verfassungsschutzes zeigt sich nicht zuletzt an der
vielfach widerlegten Hufeisentheorie, die weiterhin eisern die Grundlage
geheimdienstlichen Handelns darstellt: Statt Rassismus und menschenfeindliche
Ideologien entschlossen zu bekämpfen, wird linker Aktivismus mit diesen
gleichgesetzt und damit kriminalisiert. Eine solche ideologisch geprägte
Arbeitsweise entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und verharmlost die
Gefahr durch rechte Gewalt massiv. Zudem scheitert das Prinzip der
Gewaltenteilung strukturell an dem Versuch, die Aktivitäten des
Verfassungsschutzes angemessen parlamentarisch zu kontrollieren.
Eine unkontrollierbare Behörde, die ihren erklärten Zielen entgegen arbeitet,
verliert ihre Daseinsberechtigung. Alle Versuche, den Verfassungsschutz zu
reformieren, sind gescheitert. An einer Auflösung der Verfassungsschutzämter
führt daher kein Weg vorbei. Anstelle dessen braucht es eine transparent und
wissenschaftlich arbeitende Dokumentationsstelle und eine massiv gestärkte
Zivilgesellschaft, die selbst dazu in der Lage ist, sich gegen
menschenfeindliche Ideologien zu stellen. Vieles von dem, was wir heute über
rechte Strukturen wissen, wissen wir nicht vom Geheimdienst, sondern von
antifaschistischen Recherchegruppen – allen Widerständen zum Trotz. Statt
Antifaschismus zu kriminalisieren, muss zivilgesellschaftliches Engagement gegen
Nazis unterstützt und gefördert werden.
Autoritarismus und Asylpolitik
Die autoritäre Bekämpfung von Symptomen gesellschaftlicher Missstände zeigt sich
auch in der zunehmend menschenfeindlichen Asylpolitik Deutschlands und der
europäischen Union. Europas Regierungen schotten sich zunehmend ab und verfolgen
die, die sich für die Rettung der Menschenrechte engagieren:
Seenotrettungsschiffe werden festgesetzt, NGOs, die illegale Pushbacks an den
Außengrenzen dokumentieren, werden verfolgt und der Zugang zu den
menschenunwürdigen Massenlagern wird mehr und mehr eingeschränkt. Die Schande
von Moria ist dabei nur der vorläufige Höhepunkt einer menschenverachtenden
Entwicklung, an der sich auch die Bundesregierung eifrig beteiligt: Statt
geltendes Recht anzuwenden und denen, die nicht zuletzt unter unserer
Wirtschaftsweise und den Folgen von Umweltzerstörung fliehen müssen, ein
menschenwürdige Unterkunft zu ermöglichen, werden immer neue Vorwände gefunden,
um Geflüchtete abzuwerten, sie in Elendslagern an den Außengrenzen wegzusperren
oder sie im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Die unaufhörlich steigende Zahl an
Menschen auf der Flucht ist das vielleicht sichtbarste Symptom der globalen
Ungleichheit. Wenn wir unsere Menschenrechte aufgeben, um diesen Menschen nicht
helfen zu müssen, dann verlieren wir alles.
Stattdessen braucht es eine sofortige Evakuierung und Schließung aller Lager und
eine solidarische Geflüchtetenpolitik, die Fliehenden neue Perspektiven schafft.
Es braucht ein neues und klimagerechtes Wirtschaftssystem, das die Krisen
unserer Zeit löst, statt sie weiter zu verschärfen und die Leidtragenden dieser
Krisen zu bekämpfen. Der herrschenden Politik der Angst, Überwachung,
Abschottung und Härte stellen wir eine radikal emanzipatorische Gesellschaft
entgegen, die die menschliche Würde und Freiheit in den Mittelpunkt stellt.