Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | V – Verschiedene Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 03.11.2019 |
Eingereicht: | 03.11.2019, 15:11 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Gute Hochschulen für alle statt Elitenförderung
Beschlusstext
Gute Hochschulen für alle anstatt Elitenförderung. Diese Forderung ist kein aus
dem luftleeren Raum gegriffener politischer Anspruch.
Ganz im Gegenteil leitet sie sich von unserem allgemeinen bildungspolitischen
Verständnis ab: Wir verstehen Bildung als einen lebenslangen Prozess für alle
Menschen. Dieser ist darauf ausgerichtet, freie Persönlichkeitsentfaltung zu
ermöglichen, Talente zu fördern, gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren,
demokratisches Zusammenleben zu ermöglichen und an der Entwicklung vielfältiger
Kompetenzen zu arbeiten. So kann man angesichts sich stetig wandelnder
Herausforderungen in einer globalisierten Welt gemeinsam Zukunft gestalten.
Neugier, Veränderungsbereitschaft und ein klarer Blick für die großen Linien
sind deshalb mehr denn je wichtige menschliche Eigenschaften, die ein
Bildungssystem fördern sollte. Voraussetzung dafür ist ein grundlegend
transformiertes Bildungsverständnis, dass die individuelle Kompetenzentfaltung
jedes Menschen als wichtigste Grundlage für Lebensqualität und Zusammenhalt in
der Gesellschaft erkennt und fördert. Letzten Endes bedarf es dafür einer
veränderten hervorragenden Infrastruktur in Bildung.
Explizit Wissenschaft und Forschung kommt nochmals eine eigene Rolle als Teil
der Grundlagen unserer Gesellschaft zu. Die Erwartungen und Hoffnungen an
Hochschulen, Anhaltspunkte für kluge Antworten auf drängende Fragen zu geben,
wachsen im Angesicht von Klimakrise, zunehmender sozialer Ungleichheit und
globalen Konflikten. Darum müssen wir für alle Studierenden Bedingungen
schaffen, die ihnen einen freien, kritischen und unkonventionellen Blick auf die
Welt ermöglichen. Unsere Zukunft wird maßgeblich davon abhängen, welche Rolle
wir der Wissenschaft bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Strukturwandels
zutrauen und wie wir hervorragende Bedingungen für freie Hochschulen und
Forschungseinrichtungen schaffen. Wir wollen, dass die Qualität der Lehre
endlich die gleiche Aufmerksamkeit und Anerkennung genießt wie hervorragende
Forschungsergebnisse. Denn gute Lehre, die begeistert und Lust auf waches Denken
macht, ist die Grundlage von eben all diesen Bildungsprozessen.
Die Ausfinanzierung von Hochschulen, und zwar allen Hochschulen, ist dabei von
zentraler Bedeutung. Denn für uns ist das Recht auf hochwertige Bildung eines,
welches allen Studierenden zustehen sollte. Diese Ausfinanzierung sämtlicher
Universitäten soll u. a. zu mehr barrierefreien Universitäten führen. Gerade
weil sich Deutschland zur Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention
verpflichtet hat, ist es besonders wichtig, die Hochschulen dahingehend mit mehr
finanziellen Mitteln auszustatten. Genau vor diesem Hintergrund stellen wir uns
als GRÜNE JUGEND entschieden der „Exzellenzstrategie“ und die damit
einhergehende Förderung einer geringen Zahl an bestimmten Hochschulen entgegen.
Die „Exzellenzstrategie“ der Bundesregierung will mehrere Milliarden Euro in
Kooperation mit den Ländern auf gewisse Universitäten verteilen. Was im ersten
Moment wie ein wünschenswerter Vorgang wirkt, entpuppt sich bei genauerer
Betrachtung als Projekt zur Etablierung elitärer Strukturen und sorgt auch
bundesweit für die weitere Schwächung bereits strukturschwacher Gebiete. So ist
die einzige der 11 Exzellenzuniversitäten in Norddeutschland in Hamburg
ansässig, die zwei im Osten in Berlin und Dresden. Knapp die Hälfte ist hingegen
aus Süddeutschland. In Mecklenburg-Vorpommern gab es von Anfang an keine
Universität, die für eine Förderung in Betracht gekommen wäre. Es ist
offensichtlich, dass die Exzellenzinitiative bereits bestehende Ungleichheiten
verschärft. Die Gräben tun sich auch insbesondere zwischen den Sozial- und
Geisteswissenschaften im Gegensatz zu den ‚Lebens- und Ingenieurwissenschaften
auf. So sind nur 1/7 der geförderten Cluster aus dem sozial- und
geisteswissenschaftlichen Bereich. Gerade in Zeiten zunehmender
antidemokratischer Haltungen wird hier eine Lücke offensichtlich. Zugleich lässt
sich festhalten, dass auf Bundes- und auf Länderebene derzeit quasi jede
Hochschule zu wenig Geld bekommt. Dies schlägt sich vor allem in der Lehre, aber
auch in den Studienbedingungen und in der Forschung nieder. Die Ansätze der
Bundesregierung, wie die Erhöhung des BAföG und die Forschungsförderung, sind
unzureichend und dürften maximal als Tropfen auf den heißen Stein wirken. Die
meisten Universitäten bundesweit sind unterfinanziert.
Zugleich stellt die „Exzellenzstrategie“ ein klassisches neoliberales
Förderungsprinzip, in welchem kritisches Denken und demokratische Beteiligung
keinen Platz finden, dar. Damit reiht sie sich in zahlreiche
Ökonomisierungsprozesse des Bildungssystems ein. Dies zeigt sich am deutlichsten
in Bezug auf die Formulierungen in der Stellungnahme der
Hochschulrektorenkonferenz. Dort heißt es, dass “eine dauerhafte wettbewerbliche
Fortführung der Exzellenzinitiative […] zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands nötig ist.“ [1] Die Strategie zielt zudem keineswegs darauf ab,
langfristig planend in die Hochschullandschaft einzugreifen. Anstelle dessen
wird der stets kurzfristig und möglichst ungezügelt ausgerichtete Wettbewerb zur
langfristigen Strategie. Dadurch verschärft die Strategie die Strukturprobleme
des deutschen Hochschulsystems, statt diese zu lösen. Zugleich ging es bei der
„Exzellenzstrategie“ niemals um einen angeblichen zur Verbesserung beitragenden
Wettbewerb zwischen den Hochschulen, sondern um das gezielte Stärken einiger
weniger Universitäten. Dieser Wettbewerb beruhte schon in der Vergangenheit auf
essenziell unterschiedlichen Ausgangssituationen der Hochschulen. Diese Art der
Förderung der „Besten“ vertreibt unorthodoxe Wissenschaftsansätze und kritische
Wissenschaft, die gerade jetzt in Anbetracht zahlreicher globalen Problematiken
und gesellschaftlicher Transformationen in vielen Disziplinen stärker benötigt
wird. Deshalb lehnen wir eine Wissenschaftspolitik, die sich als Standortpolitik
auf einem Markt „international sichtbarer“, ergo sogenannter Eliteuniversitäten,
versteht, ab.
Statt der Exzellenzinitiative müssen sich deshalb die grundlegenden Bedingungen
des Hochschulsystems ändern. Es benötigt in erster Linie eine bedarfsgerechte
Finanzierung, auch und gerade aus Bundesmitteln, für mehr Studienplätze und
demokratische Entscheidungsstrukturen, um den Hochschulzugang für alle zu
ermöglichen und die strukturelle Diskriminierung, die vielen ein Studium
verwehrt, abzuschaffen. Zugleich fordern wir die Abschaffung aller
Konkurrenzstrukturen im Hochschulsystem, u. a. durch die Realisierung des 1:1-
Bachelor-Master-Übergangs. Darüber hinaus gilt es die inhaltliche (Um-
)Orientierung von Wissenschaft, Forschung und Lehre von einer Ausrichtung auf
Exzellenzanträge auf die humane, demokratische und nachhaltige Entwicklung der
Gesellschaft, u. a. durch Zivilklauseln, zu lenken.
[1] https://www.hrk.de/positionen/gesamtliste-
beschluesse/position/convention/zur-fortfuehrung-der-exzellenzinitiative/,
28.10.2019
Begründung
Die Exzellenzinitative der Bundesregierung will mehrere Milliarden Euro in Kooperation mit den Ländern auf gewisse Universitäten verteilen. Was im ersten Moment wie ein wünschenswerter Vorgang wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Projekt zur Etablierung elitärer Strukturen und sorgt auch Bundesweit für die weitere Schwächung bereits strukturschwacher Gebiete. So ist die einzige der 11 Exzellenzuniversitäten in Norddeutschland in Hamburg ansässig, die zwei im Osten in Berlin und Dresden. Knapp die Hälfte ist hingegen aus Süddeutschland. In Mecklenburg-Vorpommern gab es von Anfang an keine Universität, die für eine Förderung in Betracht gekommen wäre. Es ist offensichtlich, dass die Exzellenzinitiative bereits bestehende ungleichheiten verschärft.