Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | L – Landwirtschaft und Ökologie |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 03.11.2019 |
Eingereicht: | 03.11.2019, 14:54 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Das 1,5 Grad-Ziel von Paris endlich umsetzen! Für effektiven Klimaschutz und Sektorkopplung.
Beschlusstext
Klimaziele müssen endlich an den Pariser Klimavertrag
angepasst werden
Seit Jahren bekämpft die Große Koalition die Energiewende. Sie deckelt und
bremst den Ausbau erneuerbarer Energien im Strombereich massiv und schafft es
bis heute nicht, die Nutzung von Überschussstrom für die Wärme- und
Verkehrswende zu ermöglichen. Allein im Jahr 2017 gingen 27.000 Arbeitsplätze in
der Windenergiebranche verloren – so viele Menschen, wie in der Kohlebranche
arbeiten. Dieses Jahr gingen jeden Freitag weltweit Schüler*innen auf die
Straße, um für eine bessere Klimapolitik zu streiken. Die Vertreter*innen der
Großen Koalition sagen uns: Ihr könnt wieder nach Hause gehen, wir haben
verstanden. Gleichzeitig haben sie dafür gesorgt, dass in diesem Jahr der Ausbau
an Windkraftanlagen um 82% zusammengebrochen ist. Die Solarindustrie in
Deutschland ist schon unter Schwarz-Gelb zerstört worden – das gleiche Schicksal
soll nun offenbar die Windbranche ereilen. Und all das, während die Klimakrise
immer drängender wird, wo wir selbst in Deutschland jetzt schon Rekorddürren
erleben. Unser Haus steht in Flammen und die Feuerwehr darf nicht löschen.
Wir fordern dagegen: 100 % Erneuerbare Energien bei Strom, Wärme und Verkehr bis
spätestens 2035, in Deutschland und Europa. Nach den Forderungen von Fridays for
Future und den Berechnungen des Klimawissenschaftlers Prof. Rahmstorf darf
Deutschland dabei noch ein Budget von achtmal den Emissionen des letzten Jahres
ausstoßen (ca. 7200 Mt CO2 äq). Wir wollen dieses Budget gesetzlich festlegen.
Dementsprechend halten wir auch die derzeitigen Ziele von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
in Deutschland mit allen Sektoren außer dem Strom, und in Europa generell erst
2050 klimaneutral zu werden, für unzureichend. Wir werden in Bund, Ländern und
Kommunen Anträge einreichen, um diese Ziele zu verschärfen.
Niemand denkt an die Wärmewende
50 % des deutschen Energiebedarfs fallen auf den Sektor Wärme. Gleichzeitig hat
der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeerzeugung in den letzten 7 Jahren
nur um 1 % zugenommen. Nicht nur haben Heizungen und Gebäude sehr lange
Investitionszyklen, weshalb die Wärmewende schon jetzt in Angriff genommen
werden muss. Sie ist ebenso nötig, wenn wir bis 2025 aus der Kohle aussteigen
wollen. Denn Kohlekraftwerke produzieren Abwärme, die ersetzt werden muss.
Trotzdem verschenkt der Bund noch immer Geld für den Neubau von Öl- und
Gasheizungen. Alle fossilen Subventionen müssen sofort beendet und der Neubau
von fossilen Heizungen bis 2020 verboten werden. Der Ausbau von Power-to-Heat,
Solarthermie, Infrarotheizungen, Wasserstoff-Blockheizkraftwerken, Wasser- und
Eisspeichern, Wärmepumpen und Wärmenetzen für Fern- und Abwärme ist finanziell
zu fördern und für Neubau und Sanierung verpflichtend einzuführen. Holz darf
dagegen nur noch verfeuert werden, wenn es nicht mehr als Bau- und Werkstoff
nutzbar ist. Wärme- und Gasnetze müssen mit steigenden Anteilen erneuerbarer
Energien betrieben werden. Wenn der Bund hier seiner Verantwortung nicht
nachkommt, können und müssen die Länder und Kommunen mit Umlagen und
Subventionen einspringen.
Die Quote der energetischen Sanierung von Häusern liegt bei 1 % pro Jahr – nötig
sind aber 10 %. Gebäude müssen mindestens auf Effizienzhaus-55-Standard gebaut
werden, öffentliche Gebäude am Besten als Triple-Zero-Häuser (0 Emissionen,
Energiebedarf und Müll) oder mindestens als Effizienzhaus-70-Standard mit
nachhaltig angebautem Holz als Baustoff. Ansonsten ist die Wärmewende nicht zu
schaffen.
Treibhausgase brauchen einen Preis!
Wir wollen einen Preis auf alle Treibhausgase (THG), nicht nur CO2. Dieser
sollte zeitnah auf 180 €/t CO2-Äquivalent steigen, auch wenn dies noch nicht den
vollen externen Kosten von 640 €/t entspricht. Langfristig soll CO2 den Preis
zugeschrieben bekommen, der dem realen Wert entspricht. Dazu gehört für uns auch
eine Treibhausgas-Grenzausgleichssteuer damit auch Importe den gleichen Beitrag
zum Klimaschutz leisten. Außerdem wollen wir alle Wirtschaftsbereiche, inklusive
der Landwirtschaft erfassen.
Solange der EU-Emissionshandel nicht ausreichend reformiert wird, soll
Deutschland mit einer sozial gerechten THG-Steuer voran gehen. Beispielsweise
könnte das durch die THG-Steuer eingenommene Geld in gleicher Menge an alle
Bürger*innen zurückgezahlt werden. Da die THG-Steuer einen schnelleren Einfluss
auf die Menge der Emissionen hat und sozial verträglicher ist, präferieren wir
diese. Wird der Emissionshandel reformiert, ist es sinnvoll, Brennstoffe,
Stickstoffdünger und andere klimaschädliche Ressourcen mit einer entsprechenden
Abgabe zu belegen, anstatt diese auf emittierende Anlagen zu erheben. Auf diese
Art und Weise ist es technisch möglich, alle Verbraucher*innen zu erfassen, weil
die Durchsetzung der Abgabe an zentralen Punkten erfolgen kann. Außerdem müssen
die emittierbaren Zertifikate an das der EU zustehende Budget im Sinne des 1,5-
Grad-Ziels angepasst werden. Die Löschung z. B. aufgrund von nationalen
Klimaschutzmaßnahmen überschüssiger Zertifikate sollte in Zukunft automatisiert
erfolgen.
Zeitlich flexible Strompreise beziehen die Verbraucher*innen
ein
Bisher ist der Strompreis den ganzen Tag über der selbe. Da Wind- und
Sonnenstromproduktion aber schwanken, braucht es auch einen zeitlich
schwankenden Strompreis, um die Verbraucher*innen in den Ausgleich der
Stromschwankungen einzubeziehen. Wir halten es dabei für sinnvoller, ein
Preissignal an die Verbraucher*innen zu senden, die dann zeitlich flexibel Strom
kaufen können. So kann z. B. ein Kühlhaus bei niedrigen Strompreisen einen
Eisblock auffrieren und dann bei hohen Strompreisen abtauen. Das bidirektionale
E-Auto lädt bei niedrigen Strompreisen und kann bei hohen Strompreisen ins Netz
zurückspeisen. Die zur Realisierung solcher Tarife neuen Stromzähler (Stupid
Meter) müssen dabei so konfiguiert sein, dass nur solche Daten bei den
Kund*innen erhoben werden, die zum Anbieten des Tarifes und zur Erhaltung der
Netzstabilität unbedingt erforderlich ist.
Es ist außerdem nötig, die staatlichen Abgaben und Steuern auf Strom, wie
Stromsteuer und Netzentgelte zeitlich zu flexibilisieren.
Wasserstoff und Kohlenwasserstoffe
Neben Strom sind Wasserstoff und klimaneutrale Kohlenwasserstoffe (also
künstliches „Erdgas“, „Kerosin“ usw.) die zentralen Bausteine der
Sektorkopplung. Sie können eingesetzt werden, wenn Stromleitungen und Batterien
technisch nicht sinnvoll sind, und sie können eingesetzt werden wann immer Sonne
und Wind kaum Strom produzieren.
Es gibt keinen „Wegwerfstrom“ – drei Viertel der Energie werden in Wärme und
Verkehr verbraucht. Nachdem sich die Bundesregierung jahrelang geweigert hat,
Überschussstrom für die Nutzung bei Wärme und Verkehr freizugeben hat sie dies
jetzt nur unter so strengen Auflagen ermöglicht, dass bisher kein einziges
Projekt umgesetzt wurde. Die Umwandlung in Wasserstoff ist nach wie vor gar
nicht möglich. Das müssen wir ändern, denn bisher gilt: Windanlagen stehen nur
still, weil Berlin es so will.
Auch müsste Wasserstoff aus erneuerbaren Energien überall zumindest die gleichen
Förderkonditionen erhalten wie Biomasse ohne Gülle. Immerhin ist etwa
Wasserstoff aus Photovoltaik-Freiflächenanlagen nach Schätzungen um 80 %
flächeneffizienter als Biomasse. Das betrifft auch den vorrangig zu verfolgenden
Ersatz der Wasserstoffproduktion aus Erdgas für den Industriebedarf, bei der
genau so viel CO2 anfällt wie bei der Verbrennung von Erdgas. Hier ist die
gleiche Förderung von erneuerbarem Wasserstoff wie von Biomasse/EE-Wasserstoff
im Stromsektor logisch und notwendig. Nötig ist es, neben neuer
Wasserstoffinfrastruktur und Innovationen etwa die im Schiffsverkehr bestehende
Gasinfrastruktur zumindest bei Sanierungen immer gleichzeitig auf sehr hohe
Wasserstoffanteile auszulegen, zum Beispiel bei der gerade stattfindenden
Umrüstung von Gasnetzen in NRW, Niedersachsen, Hessen u.a. von L-Gas- auf H-Gas-
Standard. Selbst bei derzeit verbauter Technik sind mehr als 5 %
Wasserstoffanteil im Gasnetz möglich, wie ein Feldversuch in SH mit 10 %
eindrücklich bewiesen hat (das technische Maximum liegt bei 15 %).
Schlussendlich sollte auch eine Umstellung der Gasimporte auf EE-Wasserstoff
bzw. Kohlenwasserstoffe zumindest in Ansätzen begonnen werden, da dies allein
aus rechtlicher Sicht viel Zeit in Anspruch nehmen wird.
Der Hauptbestandteil von Erdgas ist Methan, dass bei Förderung, Speicherung und
Transport teilweise in die Atmosphäre entweicht und so zur Klimaüberhitzung
beiträgt. Von der Industrie unabhängige Messungen für die Höhe des
Methanschlupfs liegen nur für die USA vor und sind um ein Vielfaches höher als
bisher behauptet. Die Klimaschädlichkeit von anderen Treibhausgasen als CO2,
etwa Methan, muss außerdem endlich mit den aktuellen Werten des IPCC von 2013
statt von 2007 berechnet werden! Dann beträgt die Klimaschädlichkeit von Methan
nach 100 Jahren das 34-fache von CO2 statt nur das 25-fache. Der Wert nach 20
Jahren beträgt allerdings noch 87. Wenn wir in den nächsten 12–32 Jahren
weltweit klimaneutral werden sollen, ist es aufgrund der Kipppunkte im
Klimasystem zweifelhaft, ausschließlich den 100-Jahres-Wert zur Berechnung zu
verwenden.
Besonders hoch sind die Methanemissionen bei Frackinggas. Deshalb fordern wir
alle GRÜNEN dazu auf, den Neubau von LNG-Terminals zu verhindern, bis gesetzlich
der Import von Frackinggas verboten worden ist. Weitere Bedingungen sind aus
unserer Sicht:
umfassende, unabhängige und transparente Messung und größtmögliche
Reduktion des sogenannten Methanschlupfs;
Einstieg in den Import von klimaneutralen Kohlenwasserstoffen.
Um klimaneutrale Kohlenwasserstoffe herzustellen gibt es zwei Wege: die Nutzung
von Biomasse und die Synthese aus Wasserstoff und Kohlenstoff bzw. CO2. Damit
dies klimaneutral und ökologisch verträglich geschieht bedarf es einiger
Bedingungen, die durch Standards sichergestellt werden müssen:
- der Flächenverbrauch der Biomasse darf nicht zu Ungunsten des
Naturschutzes, der Nutzung von Biomasse als Nahrung oder Bau- und
Werkstoff gehen;
- der Anbau von Biomasse muss möglichst ohne Stickstoffdünger
(klimaschädliche Lachgasemissionen), geringem Phosphorverbrauch, usw.
geschehen;
- das verwendete C / CO2 muss klimaneutral oder irreduzibel und nicht
sinnvoller für den Aufbau von Kohlenstoffsenken (also Negativemissionen)
verwendbar sein.
Im Fall von Biomasse können möglicherweise entsprechende Formen der Algenzucht
entwickelt werden. Im Fall von synthetischen Kohlenwasserstoffen könnte Direct
Air Capture, also das Absaugen von CO2 aus der Luft, eine Lösung sein. Diese
Technologie verbraucht zurzeit aber noch deutlich zu viel Energie und ist auch
zu teuer. Irreduzibel ist etwa ein Teil der Emissionen aus der Zementproduktion.
Als weitere Quelle kommt das CO2 aus der Verbrennung von Biomasse oder
synthetischen Kohlenwasserstoffen selbst in Frage, also ein
Kohlenstoffkreislauf. Dabei muss aber beachtet werden, dass der Strombedarf für
die Rauchgasreinigung nicht zu den Zeiten anfallen darf, wo für dessen Deckung
die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen nötig wäre, weil Wind und Sonne gerade
mal auf sich warten lassen. Bis erwiesen ist, dass die kreislaufförmige Nutzung
von CO2 für eine bestimmte Anwendung möglich ist, ist es sinnvoller, hier auf
Batterie oder Wasserstoff zu setzen, weil die anderen Lösungen entweder begrenzt
oder noch nicht reif sind. Das betrifft z. B. Schiffe, PKW und LKW, aber evtl.
auch dezentrale (Block-)Heizkraftwerke. Die Probleme bei der Flüchtigkeit von
Wasserstoff können durch die Bindung an einen Liquid Organic Hydrogen Carrier
(LOHC), ein ungiftiges Öl, als Transportmedium gelöst werden. Alle genannten
Technologien sind in ihrer Entwicklung und in Pilotprojekten zu fördern.
Negativemissionen
Sogenannte Netto-Negativemissionen dienen als Argument um die notwendigen
Klimaschutzmaßnahmen herauszuzögern: Man könne ja später noch CO2 aus der Luft
saugen oder das Klima künstlich verändern. Wetten auf technologische
Entwicklungen, die vielleicht noch kommen, oder das Eingreifen in komplexe
Systeme, die wir nicht verstehen, halten wir für unverantwortlich! Damit wir auf
Nullemissionen kommen können, sind CO2-Senken allerdings durchaus ein wichtiger
Baustein. Die Wiedervernässung von Mooren, Aufforstung und nachhaltig angebautes
Holz als Baustoff können bereits jetzt einen riesigen Beitrag leisten und haben
nach dem Schutz bestehender Wälder und Moore die oberste Priorität. Dafür muss
vielerorts die Bauordnung angepasst werden, außerdem braucht es verlässliche
Standards.
Geoengineering und Carbon Capture and Storage (CCS) in den Erdboden lehnen wir
dagegen ab. Die Umwandlung von CO2 in Mineralien (Pilotprojekte in Island), oder
als sogenanntes Carbon Capture and Usage (CCU) in Feststoffe, entweder als Bau-
und Werkstoffe, als Dünger (Pflanzenkohle, Terra Preta), kann dann sinnvoll
sein, wenn die entstehenden Verbindungen langfristig stabil und die Klimabilanz
insgesamt neutral oder negativ sind. Terra Preta/Pflanzenkohle sollte in die
Düngemittelverordnung aufgenommen werden. In Deutschland können wir diesemit
Pyrolyseanlagen aus Klärschlamm erzeugen. Zurzeit werden stattdessen überall
Monoverbrennungsanlagen geplant und genehmigt, weil ab 2022 der Klärschlamm
nicht mehr auf die Felder gekippt werden darf. Hier wollen wir in den Kommunen
voran gehen. Langfristig ist der Abbrand von Holzresten zu Terra
Preta/Pflanzenkohle möglicher Weise sinnvoller als die Verfeuerung in Kaminen.
Für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit warm-feuchten Gegenden bietet Terra
Preta zudem das Potential großer Ertragssteigerungen auf ökologischem Wege.
Die GRÜNE JUGEND fordert geschlossen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf, bei der
Bundesdelegiertenkonferenz vom 15.–17. November in Bielefeld Maßnahmen
einzubringen und durchzusetzen, die nötig sind, um schnellstmöglich das Klima
und die gesamte Menschheit zu schützen. Wir halten am 1,5-Grad-Ziel fest und
setzen uns dafür ein, dass Instrumentarien und ein CO2-Preis beschlossen werden,
die damit vereinbar sind.