Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | V – Verschiedene Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 03.11.2019 |
Eingereicht: | 03.11.2019, 15:00 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Für eine soziale und nachhaltige Mobilität: Die Bahn gehört uns allen!
Beschlusstext
Die GRÜNE JUGEND setzt sich dafür ein, die Deutsche Bahn AG (DB AG) wieder in
ein Sondervermögen des Bundes zu überführen. Der Betrieb des Schienen-Personen-
Verkehrs (SPV) soll bundesweit verstaatlicht werden, Parallelbetriebe im Fern-
und Nahverkehr sind zu vermeiden. Wettbewerb in der Mobilität widerspricht dem
Grundprinzip von Mobilität als Teil der staatlich garantierten öffentlichen
Daseinsvorsorge. Diese muss auch auf unrentablen Strecken, also zum Beispiel im
ländlichen Raum oder spät in der Nacht, garantiert sein. Ticketpreise und die
Breite des Angebots (Nachtzüge, Anbindung kleinerer Gemeinden etc.) dürfen nicht
von Profitinteressen getrieben sein, sondern müssen sich an der sozialen
Lebensrealität der Menschen orientieren. So sollen sich Ticketpreise
beispielsweise an der zurückgelegten Strecke orientieren und bei hoher Nachfrage
oder kurzfristiger Buchung nicht deutlich ansteigen. Dies fördert eine längst
überfällige nachhaltige und ressourcensparende Mobilitätswende.
Die Solidarisierung der DB AG muss ein Ende der Wegrationalisierung kleiner
Bahnhöfe und weniger ausgelasteter Bahnstrecken nach sich ziehen. Das Motiv muss
sein, dass niemand mehr vom Zugverkehr abgekoppelt ist, seien es Bewohner*innen
kleinerer Städte und ländlicher Regionen oder Menschen, die außerhalb von
Stoßzeiten auf Zugverkehr angewiesen sind. Außerdem wird eine massive Reduktion
der Fahrtzeiten von Nah- und (europäischen) Fernverkehrsstrecken angestrebt.
Dies soll durch den Bau neuer Hochgeschwindigkeitstrassen erreicht werden.
Häufiges Umsteigen mit langen Wartezeiten ist zu vermeiden. So soll der SPV eine
echte Alternative zum PKW- und Flugverkehr darstellen. Besonders auf diesen
weniger stark frequentierten Regionalstrecken erscheinen zur Steigerung der
Verlässlichkeit sowie zur langfristigen Absenkung der Personalkosten außerdem
Investitionen in autonome Zugsysteme sinnvoll, die die Anwesenheit von
Zugpersonal im regulären Fahrtbetrieb überflüssig machen sollen. Die Überführung
der DB AG in ein Sondervermögen des Bundes würde es zudem erleichtern,
ticketlosen bundesweiten Nahverkehr sowie moderate Fernverkehrspreise im Sinne
einer Mobilitätswende einzuführen.
Auch im Güterverkehr gibt es große Chancen bei einer Rückverstaatlichung der DB
AG. Längst geschlossene Güterbahntrassen können reaktiviert und die
Transportleistung von DB Schenker kann auf die Schiene gebracht werden. Denn
aktuell werden in Deutschland nur knapp 20% des Güterverkehrs auf der Schiene
abgewickelt, während diese Zahl in der Schweiz mehr als doppelt so hoch ist.
Daneben muss die Bundesregierung endlich die Elektrifizierung von Deutschlands
Bahnstrecken voranbringen. Die aktuelle Strategie der DB AG und von Andreas
Scheuer erreicht einen maximalen Elektrifizierungsgrad von 67%, die GRÜNE JUGEND
fordert jedoch 100% bis spätestens 2035. Um dies zu erreichen, kann alternativ
auch ein Austausch von bisher genutzten Dieselloks durch klimaneutral betriebene
Antriebe durchgeführt werden. Der Strom soll hierbei durch regenerative
Energieträger erzeugt werden. Es kann nicht sein, dass im Zeitalter der
Klimakatastrophe immer noch Dieselloks durch unsere Lande tuckern, nur weil sich
Elektrifizierungen für einen privatwirtschaftlichen Konzern nicht rechnen.
Die Rückführung der Bahn in die öffentliche Hand beinhaltet auch, dass die
zahlreichen Auslandsfirmen und -beteiligungen der DB AG abgestoßen werden. Denn
anstatt sich um Verspätungen und Zugausfälle zu kümmern, hat die DB AG ein
weltweites intransparentes Firmennetz aufgebaut und betreibt über Töchter
beispielsweise Busse in Brasilien. Dies muss beendet werden. Die Bahn muss sich
wieder auf ihr Kerngeschäft, nämlich den Schienenverkehr im Inland,
konzentrieren. Europäische Wettbewerbsvorgaben sollen entsprechend auf EU-Ebene
verändert werden. Beim Verkauf von DB-eigenen Personenverkehrsunternehmen wie
Arriva sollte ebenfalls eine örtliche Verstaatlichung beziehungsweise
Eingliederung in die entsprechenden Staatsbahnen priorisiert werden. Die GRÜNE
JUGEND fordert, dass die Bundesrepublik als neue Betreiberin der Deutschen Bahn
sich dafür einsetzen soll, dass die Abstoßungen möglichst sozialverträglich und
nachhaltig im betreffenden Drittstaat durchgeführt werden.
Begründung
In einer global agierenden Welt muss es allen möglich sein, mobil zu sein. Mobilität wird im Arbeits- und Privatleben immer wichtiger. Auch zur Weiterbildung und kulturellen sowie sozialen Teilhabe müssen immer größere Strecken überwunden werden können. Der Ausschluss Ärmerer von diesem Privileg verbreitert den Graben zwischen sozialen Schichten. Zudem hat gemäß des Artikels 27 UN-Charta der Menschenrechte jede*r das Recht, "am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben". Auch im Privaten muss es heutzutage möglich sein, Bekannte, Freund*innen und Partner*innen zu besuchen. Dies auf eine klimafreundliche Art und Weise zu tun, wird durch hohe Preise und lange Bahnfahrten weniger wohlhabenden Schichten verwehrt. Außerdem nimmt das Ausweichen auf den Individualverkehr immer mehr zu.
Hier werden die soziale und die ökologische Frage verbunden. Soziale Teilhabe kann ermöglicht werden, wenn die Bahn als klimaverträgliches Verkehrsmittel endlich aus ihrer aktuellen Nebenrolle befreit wird und in das Zentrum von Politik und Gesellschaft gerückt wird. Gesetzliche Leitlinien können die Übervorteilung von Flug- und Autoverkehr aufbrechen und zusammen mit einem klugen Streckenausbau die Eisenbahn zum beliebtesten Verkehrsträger machen. Selbst Individualverkehr mit batterieelektrischen Autos ist unter dem Strich schlechter für die Umwelt als der ressourcenschonende Schienenverkehr. Menschen, welche die Bahn benutzen und das KfZ dafür stehen lassen, dürfen nicht durch hohe Kosten und verspätete Ankunftszeiten benachteiligt werden. Wirtschaftlicher Gewinn bzw. Verlust ist in diesem Fall nachrangig.
Befürworter*innen einer zunehmenden Liberalisierung, die frei nach dem Motto "Der Markt regelt alles" wirtschaften wollen, ist entgegenzuhalten, dass vollständige Bahnprivatisierungen in Europa bisher nicht erfolgreich verlaufen sind. In Großbritannien, dem Mutterland der Privatisierungen, sind Ticketpreise überdurchschnittlich hoch und die Privatisierung der Infrastruktur hat zu Unfällen mit vielen Toten geführt. Nachdem die Infrastruktur bereits kurz nach ihrer Privatisierung rückverstaatlicht wurde, passiert dies nun auch mit Strecken. Diese Rückverstaatlichung ist auf die Insolvenz der zahlreichen Betreiber auf Nebenstrecken zurückzuführen. Der eigentliche „Wettbewerb“ findet nur um die Filetstücke, also die großen Hauptachsen statt. Alles andere bleibt buchstäblich auf der Strecke. Die Unterhaltung von Bahnverkehr ist teuer und ergibt wirtschaftlich keinen Sinn, was an der hohen Verschuldung der DB AG und ihren Töchtern mehr als deutlich wird. Auch semi-private Modelle haben sich als Misserfolg erwiesen. Wenn nur das Personal aber nicht das Rollmaterial privatisiert wird, wie in beispielsweise Niedersachsen, dann ist dies eine Solidarisierung der Risiken bei gleichzeitigen prekären Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten.