Veranstaltung: | 1. Länderrat 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | L Aktuelle politische Lage |
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 20.06.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.06.2024, 20:54 |
L1: Eine Welt in Unordnung - außenpolitische Eckpfeiler in einer Welt voller Kriege
Antragstext
Eine Welt in Unordnung
Ob der furchtbare russische Angriffskrieg in der Ukraine, das Massaker vom 7.
Oktober in Israel und der Krieg im Gazastreifen, der Bürgerkrieg im Sudan oder
das Säbelrasseln Chinas gegenüber Taiwan: Noch nie war für unsere Generation
Krieg so allgegenwärtig wie derzeit. Doch die Kriege sind nicht nur näher und
greifbarer geworden, sie nehmen auch quantitativ zu, dauern länger und sind
komplizierter zu beenden. Die Zahl der Toten durch bewaffnete Konflikte ist so
hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr, weltweit steigen die Militärausgaben und
neue geopolitische und regionale Blockkonfrontationen werden immer bedrohlicher.
Die Angst vor dem Krieg ist omnipräsent, in allen Umfragen rangiert sie oben bei
den größten Sorgen der Menschen in Deutschland.
Diese Situation fordert uns als Linke - die sich jahrelang vor allem
innenpolitischen Themen zugewendet haben - heraus, Antworten zu geben, die einen
Ausweg aufzeigen. Die Versuchung, aufgrund der komplexen Lage vermeintlich
einfache Lösungen heranzuziehen, ist groß. Doch weder bedingungsloser
Pazifismus, der vielen Antworten auf konkrete Konfliktlagen schuldig bleibt,
noch die liberale Erzählung einer Notwendigkeit zur Aufrüstung zum Schutze der
“regelbasierten Ordnung” kann eine wirklich linke Antwort sein. Nur, wenn wir
verstehen, warum gewaltsame Konflikte entstehen und uns anschauen, welche
Entwicklungen die Eskalation von Konflikten in Zukunft wahrscheinlicher machen
könnten, können wir echte langfristige Strategien für Frieden entwickeln.
Panzer für das nationale Interesse? Die Militarisierung zur Sicherung
national(istisch)er und kapitalistischer Interessen
Im globalen Wettbewerb um kritische Rohstoffe, geopolitische Vormachtstellungen
und profitable Handelsrouten konkurrieren heute sowohl die alten Mächte wie die
USA, EU-Staaten und Russland als auch zunehmend Staaten wie China, Iran oder
Saudi-Arabien. Dabei stürzen sich Regierungen nicht nur zunehmend in
Handelskriege und Subventionswettläufe für die eigene nationale Wirtschaft,
sondern rüsten gleichzeitig massiv auf. Russland rüstet sich für jahrzehntelange
Kriegswirtschaft. Die USA als Land mit dem größten Verteidigungshaushalt
weltweit gaben allein 2023 916 Milliarden US Dollar für ihr Militär aus. Chinas
Militärausgaben stiegen rasant an und lagen im Jahr 2023 bei 296 Milliarden US-
Dollar. Die Militärausgaben in Europa sind so hoch wie seit dem kalten Krieg
nicht mehr.
Dieses Wettrüsten stellen immer mehr Politiker*innen als unumgängliche
Absicherung deutscher und europäischer Interessen dar. Doch die Erfahrung zeigt:
Nicht selten spielen auch auf westlicher Seite bei Aufrüstung und militärischen
Interventionen imperiale Interessen eine relevante Rolle: Ob vergangene
Interventionen der USA zur Sicherung von Ölressourcen in den Golfstaaten oder
Frankreichs militärische Absicherung von Ressourcen in ehemaligen
westafrikanischen Kolonien: Einflussreiche Staaten sichern ihre nationalen
wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zunehmend militärisch ab und
spielen dabei mit der Angst und dem Leid von Millionen von Menschen.
Gleichzeitig gerät Friedenssicherung durch Diplomatie und Kooperation weiter aus
dem Blickfeld.
Kurzum: Krieg und Militarisierung gehören im Wettbewerb um Ressourcen und
Einfluss zum globalen kapitalistischen Alltag. Imperiale Bestrebungen wie
aktuell seitens Russlands setzen das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel und
werden als patriotisches oder notwendiges Übel dargestellt. Kriege und
militärische Auseinandersetzungen bedeuten für die Mehrheit der Menschen meist
vor allem eins: Leiden für nationalistische und oftmals wirtschaftliche
Interessen von Minderheiten.
Deutschland im Aufrüstungsfieber
Getrieben durch den russischen Angriffskrieg und Szenarien, in denen eine
Ausdehnung des Krieges auf weitere Teile Osteuropas, inklusive NATO-Territorien,
befürchtet wird, ist Deutschland im Aufrüstungsfieber: Deutschland - so
Verteidigungsminister Pistorius wörtlich - müsse wieder kriegstüchtig werden.
Die Folge: 100-Mrd-Sondervermögen, Debatten über Sozialstaatsabbau zugunsten
weiterer Aufrüstung, Diskussionen über die Wiedereinführung der Wehrpflicht,
Forderungen nach Kriegsübungen an Schulen. Zeitgleich werden Gelder für
Diplomatie, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gestrichen oder
stehen auf der Kippe. Währenddessen kämpft die demokratische Zivilgesellschaft
inklusive der Träger von Jugendarbeit und Freiwilligendiensten mit den Folgen
der Inflation: Die Entwicklung der öffentlichen Fördergelder blieb zuletzt
deutlich hinter der Inflation zurück und nun steht die Zivilgesellschaft vor dem
ultimativen Sparhammer, der mit dem Haushalt 2025 droht. Während also viele
Träger von Freiwilligendiensten gar nicht erst neue FSJ-Stellen ausschreiben,
sollen 18-Jährige verpflichtend gemustert werden und mit Anreizen zur Bundeswehr
gelockt werden, von denen FSJ-ler*innen in Krankenhäuser und Kitas nur träumen
können.
Wir halten diese Verschiebung von Prioritäten weg von Diplomatie, Kooperation
und Entwicklungszusammenarbeit hin zu Aufrüstung sowie die Militarisierung der
Gesellschaft bei gleichzeitigem Abbau von Zivilgesellschaft für gefährlich,
autoritär und nicht hinnehmbar.
Wir wollen in einer Welt leben, die auf internationalem Ausgleich von
Interessen, auf Kooperation statt Konkurrenz, auf Gemeinwohl ausgerichtetem
Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen, auf Gleichheit und Verständigung
beruht. Kurz: Eine Welt, in der es keinen Grund mehr gibt, Krieg zu führen und
in der Konflikte, so sie unvermeidbar sind, durch demokratische Aushandlung
unter Wahrung von Minderheitenrechten gelöst weren - und nicht Krieg. Wir sind
überzeugt, dass dieser Weg langfristig auf Abrüstung angewiesen ist.
Wir sind gleichwohl nicht so naiv zu denken, dass in Anbetracht der Bedrohung
durch ein von imperialen Interessen getriebenes Russland, eine einseitige
Abrüstung bzw. der sofortige Verzicht auf jegliche Form von Verteidigung auf
europäischer Seite so einfach möglich ist.
Wir erwarten, in Anbetracht dieser ambivalenten Lage, dass Diskussionen über
Waffenlieferungen und Aufrüstung mit größter Vorsicht geführt werden.
Reflexhaftes und moralisierendes In-die-Ecke Drängen derjenigen, die auf
Diplomatie und militärische Zurückhaltung setzen und vor einer Militarisierung
der Gesellschaft warnen, halten wir für deplatziert. Denn wer gar nicht mehr
nach Frieden sucht, wird ihn auch nicht herstellen können.
Als Grüne Jugend können und werden wir keine detaillierten Friedenspläne für die
Ukraine, den Nahen Osten und weitere Krisengebiete vorlegen. Das würde
einerseits unseren Kompetenzbereich vollkommen übersteigen, andererseits unsere
in außenpolitischen Fragen stark begrenzte Einflussmöglichkeiten leugnen.
Stattdessen wollen wir einige Eckpfeiler festhalten, an denen sich unsere
Position in einer zunehmend von Kriegen bestimmten Welt und eines von Aufrüstung
dominierten deutschen Diskurses, orientieren soll:
Wir lehnen jegliche Form von Austerität zugunsten von Aufrüstung ab
Wir setzen uns für eine Erhöhung der Gelder für Diplomatie,
Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention
ein.
Wir fordern die Einführung eines wirksamen Rüstungskontrollgesetzes, das
Waffenexporte in nicht-demokratische Staaten wirksam unterbindet.
Wir halten an von Deutschland ratifizierten internationalen
Abrüstungsverträgen - insbesondere dem Atomwaffensperrvertrag - fest und
fördern weitere Bemühungen für internationale Abrüstungsverträge.
Wir setzen uns dafür ein, dass Kriegsdienstverweigerer aus egal welchem
Land in Deutschland grundsätzlich Asyl erhalten.
Mit Blick auf den Nahen Osten unterstützen wir alle Maßnahmen, die auf die
Freilassung aller Geiseln und einen nachhaltigen Waffenstillstand
hinwirken. Wir stehen solidarisch an der Seite der linken
Zivilgesellschaft in Israel, die für einen Regierungswechsel, einen
Geiseldeal und ein Ende des Krieges einstehen. Wir unterstützen weiterhin
alle Bemühungen für eine 2-Staaten-Lösung. Von der Bundesregierung
erwarten wir, dass sie alles in ihrer Macht stehende tut, um diesen Krieg
zu beenden und für eine Befreiung der Geiseln zu sorgen. Die Lieferung von
Waffen, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, muss bis auf
weiteres ausgesetzt bleiben. Gleichzeitig muss angesichts zunehmender
Angriffe an verschiedenen Fronten Israels Selbstverteidigungsfähigkeit
gesichert bleiben.
Wir unterstützen Waffenlieferungen an die Ukraine, insofern ihr
Eskalationsrisiko sorgfältig abgewogen und Verhandlungslösungen immer
wieder ernsthaft ausgelotet werden. Außerdem setzen wir uns für eine
Erhöhung der Mittel für die zivile Infrastruktur und den Wiederaufbau in
der Ukraine ein.
Wir lehnen jegliche Modelle eines “neuen Wehrdienstes” bzw. einer
Wehrpflicht ab, die nicht auf Freiwilligkeit beruhen. Die Verpflichtung
junger Menschen gegen ihren Willen lehnen wir ab.
Wir fordern die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft - dies
betrifft die Förderung der Jugendarbeit genauso wie Ausbau und Stärkung
der Freiwilligendienste.
In dem Wissen, dass Ressourcenkonflikte kriegerische Auseinandersetzung in
Zukunft auslösen und befeuern dürften, setzen wir uns mit Nachdruck für
effektiven Klimaschutz und Maßnahmen zur Verringerung des Rohstoffbedarfs
ein.
Wir sprechen uns gegen jegliche Freihandelsabkommen aus, die
Abhängigkeiten des globalen Südens ausnutzen und vertiefen – und somit
Konfliktursachen verschärfen.
Wir setzen uns für Technologietransfers in technologisch weniger
fortgeschrittene Länder und wirtschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe ein.
Wir setzen uns für den Erlass von Schulden überschuldeter Staaten des
globalen Südens ein.
Als internationalistischer Verband solidarisieren wir uns mit allen
Kräften weltweit, die für Frieden und Verständigung, Kooperation,
Gleichheit und Menschenrechte eintreten.
Begründung
erfolgt mündlich