Veranstaltung: | 1. Länderrat 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | W Rechtsruck stoppen - jetzt erst recht! |
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 21.06.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 21.06.2024, 20:56 |
W1: Rechtsruck stoppen – jetzt erst recht!
Antragstext
Es ist Rechtsruck.
Die politische Stimmung war in den letzten Wochen, vor allem vor den Europa- und
den Kommunalwahlen, enorm aufgeheizt. Angriffe auf Politiker*innen und
Aktivist*innen sind nur eins von vielen Symptomen des Rechtsrucks. Die
Wahlergebnisse bestätigen das: Während das linke Lager herbe Verluste einstecken
musste, haben konservative und rechte Parteien zulegen können - abgesehen davon,
dass rechte Positionierungen inzwischen bis weit in die Mitte der politischen
Parteienlandschaft übernommen werden.
Die AfD konnte trotz verschiedener Skandale kurz vor der Wahl - von
Spionagevorwürfen bis zu Ermittlungen wegen Geldwäsche und Bestechlichkeit - ihr
Wahlergebnis im Vergleich zu 2019 deutlich verbessern. Besonders im Osten ist
sie in fast allen Landkreisen Wahlsieger. Und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht
hat einen Erfolg zu verzeichnen: Aus dem Stand haben sie 6% bundesweit erreicht.
Ihre Positionierung als Anti-Establishment-Partei scheint zu verfangen – auch
wenn sowohl zahlreiche herablassende Äußerungen gegenüber
Bürgergeldempfänger*innen als auch Anbiedern an die CDU und alles andere als
Anti-Establishment sind.
Diese Entwicklung und der Rechtsruck sind nicht überraschend. Jahrzehnte
neoliberaler Politik sind nicht ohne Folgen geblieben: Der Rückbau des
Sozialstaats, etwa durch die Agenda 2010, der Rückgang der Tarifbindung und der
Aufbau eines riesigen Niedriglohn-Sektors hat viele Menschen in die Prekarität
und die Abstiegsangst getrieben. Auf diese ohnehin schon fragile Ausgangslage
folgt im Moment eine Krise auf die nächste: Pandemie, Kriege, Energiekrise,
Inflation, Wirtschaftskrise, Klimakrise. Auf viele dieser Krisen sind die
Regierungen der letzten Jahre ausreichende Antworten schuldig geblieben.Die
notwendige Antwort wäre eine Politik, die die Krisen konsequent angeht und
gleichzeitig sicherstellt, dass alle Menschen während den enormen
Transformationsprozessen keinen Abstieg zu befürchten haben. Stattdessen sind
Reallohnverluste, steigende Lebenshaltungskosten und eine unsoziale Sparpolitik
die Realität. Was daraus folgt, ist nur logisch: Ein riesiger Vertrauensverlust
in breiten Teilen der Bevölkerung.
Dieser Vertrauensverlust ist besonders im Osten bemerkbar. Viele Menschen haben
während der Wendezeit enormen persönlichen Abstieg erlebt. Vier von fünf
Ostdeutschen verloren in den Jahren nach der Wende ihren Job und bis heute sind
im Osten die Löhne niedriger und der Anteil der Erwerbstätigen im
Niedriglohnsektor höher. In einer so fragilen, vereinzelten und enttäuschten
Gesellschaft haben Rechte ein besonders leichtes Spiel. Geflüchtete müssen als
Sündenböcke herhalten und wenn die eigene Lebensleistung abgewertet wird und
keinen identitären Halt mehr bietet, tut es eben das Deutschsein. Gefühlte und
reale Kontrollverluste in einer immer schnelleren, globalisierten und auf
Konkurrenz ausgelegten Welt machen eine Rückkehr in einen früheren, „normalen“,
stabilen Zustand attraktiv. Auch wenn es diesen so nie gab und die Vergangenheit
auch nicht wieder herzustellen ist verfängt die Idee.
Alle zusammen einfach nur gegen Rechts?
In den letzten Jahren konnte man immer wieder verschiedene Strategien gegen
Rechts beobachten, die gescheitert sind. Ob man Rechten entgegenkommt oder sie
normalisiert - rechte Gesinnungen werden immer stärker gesellschaftlich
verankert. Während in der Hoffnung, die asylpolitischen Debatten einfangen zu
können, eine besonders restriktive Asylpolitik gefahren wird, geht diese
Strategie offensichtlich nicht auf: Noch immer ist es für Rechte unfassbar
leicht, das Thema Asyl für sich zu instrumentalisieren. Die AfD plakatiert
mittlerweile „Das Original“ oder „Die AfD hält, was die CDU verspricht“ – ein
bezeichnendes Bild.
Und auch die argumentative Konfrontation funktioniert nicht. Zum einen, weil die
AfD etwa Talkshows rhetorisch immer wieder mit Whataboutism, Phrasenhopping und
gezieltem Tabubruch arbeitet. Zum anderen funktionieren aber auch Hinweise auf
ihr faktisch arbeiter*innenfeindliches Programm offensichtlich nicht, ist die
AfD doch stärkste Kraft unter Arbeiter*innen geworden. Rechte Ideologie ist
nicht auf das bessere Argument angewiesen, denn sie nährt sich in erster Linie
aus Frust, Angst und persönlicher Kränkung. Gepaart mit oberflächlicher
Rhetorik, die dazu geeignet ist, Menschen regelrecht zum Sieden zu bringen,
stachelt sie auf und erzeugt so eine immense Sogkraft. Wer diesen Mechanismus
mit Argumenten stoppen möchte, hat schon gegen ihn verloren. Auch deutlich zu
machen, wie rechtsextrem die Partei wirklich ist, hilft nicht. Denn die meisten
AfD-Wähler*innen wählen sie nicht trotz, sondern wegen ihrer rechten Positionen.
Dieser unschönen Wahrheit müssen wir ins Auge sehen.
Die wohl prominenteste Gegenstrategie, die von den demokratischen Parteien sowie
von weiten Teilen der Zivilgesellschaft in den letzten Jahren propagiert wurde ,
ist das „Zusammenstehen aller Demokrat*innen”. Natürlich ist es gut, dass
demokratische Parteien sich zumindest darauf einigen können, dass die AfD eine
rechtsrextreme Partei ist und hier keinen Platz haben sollte. Bei den
Demonstrationen gegen Rechts konnten viele Menschen Kraft schöpfen und man kann
nicht leugnen, dass der Rückgang der AfD-Umfragewerte im Februar auch darauf
zurückzuführen ist. Leider hört der partei- und bewegungsübergreifende Konsens
aber bereits beim „Gegen Rechts“-Sein auf. Anstatt also den Gründen für den
Rechtsruck gemeinsam auf den Grund zu gehen und ein politisches Programm gegen
sie zu entwickeln, wird nur mantraartig die eigene Opposition dagegen
wiederholt. Leider ohne großen Effekt. Es entsteht der Eindruck, dass der
Minimalkonsens der Demos eigentlich nur ist, den Status Quo gegen rechts zu
verteidigen. Dabei bedeutet dieser Status Quo für die allermeisten Menschen vor
allem materielle Sorgen, Zukunftsangst und Frust.
In den letzten Monaten nehmen immer mehr Politiker*innen Tik Tok als Grund für
den Rechtsruck ins Visier. Fest steht: Diese Plattform ist ein idealer
Schallverstärker für die emotionalisierenden Botschaften der AfD. Dass diese
Botschaften verfangen, ist allerdings nicht primär die Schuld der Plattform.
Obwohl es natürlich richtig ist auf Tik Tok präsent zu sein, um gerade eine
junge Zielgruppe zu erreichen, deren Lebensrealität sich zu großen Teilen dort
abspielt, ist es vermessen zu glauben, dass sich der Rechtsruck mit besseren
Erklär- oder Tanzvideos auf Tik Tok aufhalten lässt.
Unsere Strategien gegen Rechts
Klar ist: Wer den Rechtsruck wirklich stoppen will, muss sich ein ernst
gemeintes, klares Bild davon machen, woher er kommt, und was das Angebot von
Rechten für immer mehr Menschen attraktiv macht. Uns ist klar, dass sich die
Ursachen des Rechtsrucks nicht alleine mit ein paar sozialpolitischen
Schönheitskorrekturen, beheben lassen und trotzdem gibt es im Hier und Jetzt
vieles, was Rechten den Wind aus den Segeln nimmt. Wir wissen, dass Sparpolitik
Rechten in die Karten spielt. Statt einem weiteren Sparhaushalt braucht es die
längst überfällige Abschaffung der Schuldenbremse, ein milliardenschweres
Investitionsprogramm und eine gerechte Vermögensbesteuerung. Gerade in
Krisenzeiten spitzen sich Verteilungskonflikte immer stärker zu. Sie verlaufen
zwischen oben und unten, werden aber von Rechts als Konflikte zwischen innen und
außen, zwischen „Deutschen“ und Geflüchteten, bespielt. Verteilungskonflikte den
Rechten zu überlassen, ist brandgefährlich.
Viele Menschen suchen eine Alternative zur etablierten Politik, die sie
teilweise über Jahrzehnte enttäuscht und zurückgelassen hat. In unserer
Generation zeigt sich diese Suche konkret in der Wahl der AfD und BSW, aber auch
verschiedenster Kleinstparteien. Die Notwendigkeit einer neuen Politik, die es
im Gegensatz zu etablierten Parteien ernst meint mit der konkreten Verbesserung
des eigenen Lebens, die einen Fokus auf soziale Sicherheit, Gerechtigkeit,
sozialen Klimaschutz und den Schutz von Menschenrechten legt,, wird immer
deutlicher. Die Aufgabe jeder linken Kraft ist es jetzt, genau diese Politik zu
entwickeln und glaubwürdig zu vertreten. Zentral ist dafür, sich auf Augenhöhe
mit den Menschen, für die man Politik macht, zu begeben, und ihnen wirklich
zuzuhören. Leere Wahlversprechen sorgen nur für noch mehr Enttäuschung –
stattdessen muss langfristig und über stetige Arbeit vor Ort Vertrauen aufgebaut
werden. Nur über diese Präsenz im Alltag lässt sich eine neue Solidarität
aufbauen, die eine echte Alternative zur ausgrenzenden Volksgemeinschaft der
Rechten sowie zum ungerechten Status Quo der etablierten Parteien bieten kann.
Und wir?
Als Grüne Jugend haben wir bereits mit der kein-Bock-auf-Krise-Kampagne
begonnen, statt leere Versprechen zu propagieren, echte Gespräche zu führen und
herauszufinden, was junge Menschen wirklich bewegt. Darauf wollen wir aufbauen
und über verschiedenste Projekte und Kampagnen Ansätze solidarischer
Zusammenschlüsse für junge Menschen vor Ort ermöglichen.
Die Zeit vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wollen wir
nutzen, um mit jungen Menschen über ihren Alltag und darüber, wie sie gerade auf
Politik blicken, ins Gespräch zu kommen und sie dazu zu bewegen, sich politisch
zu engagieren.
Nach Abschluss der Evaluationen unserer Kampagne zur Europawahl sowie der
Landtagswahl-Kampagnen , wollen wir beim Bundeskongress dann einen Blick ins
nächste Jahr werfen und die Eckpfeiler für die Bundstagswahl-Kampagne aufstellen
sowie das Kampagnenteam, das diese entwerfen soll, wählen.
Uns ist bei all dem bewusst: Unsere langfristige Strategie erfordert viel
Durchhaltevermögen und ist eine echte Herausforderung. Gleichzeitig ist sie
unsere einzige realistische Option, um dem Rechtsruck auf lange Sicht
beizukommen. Schließen wir uns also zusammen, krempeln die Ärmel hoch und fangen
an!