Veranstaltung: | 1. Länderrat 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | A Aktuelle politische Lage |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Länderrat |
Beschlossen am: | 01.07.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Dringlichkeitsantrag: Stacheldraht zu Altmetall – United we fight!
Beschlusstext
Europa – eine Idee des Friedens. Doch Frieden für wen?
Über 55.000 Menschen gelten seit 2014 nach ihrer Flucht über das Mittelmeer als
vermisst – viele von ihnen sind dabei verstorben. Menschen, die es bis nach
Italien, Spanien oder Griechenland schaffen, erlebten dort weitere Gewalt: Durch
Grenzschutzbehörden, die Polizei oder Angriffe von Neonazis. Und während all das
bereits seit Jahrzehnten bittere europäische Realität ist, soll nun die Mauer um
Europa noch höher gebaut werden. Humane Asylpolitik? Fehlanzeige!
Weitere Entrechtung von Geflüchteten – Nicht mit uns!
Statt sich der Gewalt und den unzähligen Menschenrechtsverletzungen
entgegenzustellen, plant die EU, die Regierungen der europäischen Länder und
deren Innenminster*innen gegenwärtig die größte Einschränkung des Asylrechts
seit seiner Einführung nach dem Zweiten Weltkrieg. Asylanträge sollen zukünftig
nur noch in Außengrenzverfahren gestellt werden können. Angeblich wäre das
schneller, doch in Wahrheit entrechtet es Flüchtende nur weiter.
Monatelang sollen die Menschen an den Außengrenzen unter Haftbedingungen in
Massenlager verbringen, während die Zulässigkeit des Antrags geprüft werden
soll. Wenn Menschen über einen als angeblich „sicher“ eingestuften Drittstaat
einreisen, wird der Antrag abgelehnt. Weil die Kriterien, wann ein Staat als
„sicher“ gilt, weiter heruntergeschraubt werden und – trotz klarer
Verfassungswidrigkeit – sogar Teilgebiete von Staaten so eingestuft werden
sollen, wird das individuelle Asylrecht massiv in Frage gestellt. Die Folge:
Noch mehr unmenschliche Abschiebungen.
Selbst das zutiefst unmenschlich und an koloniale Denkmuster angeknüpfte System,
wie es gerade zwischen Großbritannien und Ruanda herrscht, ist in Europa damit
nicht ausgeschlossen. Sogenannte „nationale Auslagerungsstrategien“ sollen
ermöglichen, dass Menschen in Drittstaaten abgeschoben werden, zu denen sie
nahezu keine Verbindung haben. Die rechtswidrige und unmenschliche Praxis der
Pushbacks wird nicht nur teilweise legalisiert, sondern noch weiter zunehmen, da
die Außengrenzstaaten weiterhin mit der Aufnahme der Menschen alleine gelassen
werden.
Die Belastung der Anrainerstaaten wird durch den so vorliegenden
“Solidaritätsmechanismus” keinen Deut geringer. Es liegt nahe, dass Länder wie
Italien oder Griechenland weiterhin Pushbacks durchführen werden. Dieser Bruch
des Rechts auf Asyl muss endlich Konsequenzen haben, und darf nicht weiter
hingenommen.
Statt individueller Prüfung der Fluchtgründe steht dann eine möglichst schnelle
Abfertigung der Menschen als oberste Priorität. Rechtsstaatliche Verfahren und
Menschenrechte werden somit an den Außengrenzen noch weiter
eingeschränkt.Abschiebungen in unsichere Drittstaaten und (Ketten-)Abschiebungen
werden somit deutlich ausgeweitet. Für jeden Schutzsuchenden ist das eine
unmenschliche Behandlung – für vulnerable Gruppen wie Frauen, Queers und viele
andere Menschen eine tödliche Gefahr. Statt der versprochenen „No more Morias“
heißt das, dass solche unmenschlichen Lager zum europäischen Standard werden.
Den Abschottungsdystopien entgegenstellen!
Die Zustimmung Deutschlands und der Grünen Partei ist falsch, denn sie bricht
mit den europäischen und parteiinternen geeinten Grundwerten. Auch wir als Grüne
Jugend können uns nicht damit identifizieren. Das Abstimmungsverhalten der
Ampel-Regierung im JI-Rat widerspricht unserer Position und Grundhaltung.
Diese Asylrechtsverschärfungen sind unhaltbar für uns. Das haben wir in den
vergangenen Wochen, auf allen Ebenen – vom kleinsten Kreisverband, als
Landesverbände und als Bundesverband - lautstark klar gemacht. Gemeinsam mit
unseren Bündnispartner*innen wie ProAsyl, der Seebrücke, lokalen
Geflüchteteninitativen oder den anderen Jugendorganisationen organisierten wir
im gesamten Land Demonstrationen. Bündnisse, die es vor ein paar Wochen noch gar
nicht gab, sind aus dem Boden gesprossen. Bündnisse, mit denen wir auch in
weitere linke Konflikte gehen können. Die Zustimmung Deutschlands zur bisherigen
europäischen Einigung ist falsch. Das haben wir auch innerhalb der Partei klar
gemacht und durchgesetzt.
Wir konnten – in der Zivilgesellschaft und in der Grünen Partei – eine Gegenwehr
aufbauen, die viele vermutlich gar nicht erwartete hatten. Und nur durch diesen
lautstarken, gemeinsamen Protest konnten wir so viel Druck aufbauen!
Die geplanten Reformen werden voraussichtlich noch über Jahre weiter verhandelt
werden. Wir werden weiterhin für Menschen auf der Flucht kämpfen. Wir werden
weiterhin die geplanten Reformen des Asylsystems aufs schärfste kritisieren –
und dagegen ankämpfen. Denn noch sind diese tödlichen Pläne nicht beschlossen.
Wir erwarten von der Grünen Partei & den Verantwortungsträger*innen, sich
ebenfalls aufs Härteste für einen verpflichtenden Verteilungsmechanismus und die
Verhinderung von Haft einzusetzen. Es darf nicht ein bisschen weniger
Asylrechtsverschärfungen geben, sondern es braucht eine radikale Kehrtwende hin
zu Menschenrechten und Humanität.
Rassistische Migrationspolitik hat System!
Der unmenschliche Umgang mit Flüchtenden ist rassistisch. Menschen wird der
Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohlstand oder grundsätzlich überhaupt Asylverfahren
verwehrt, weil sie an einem bestimmten Ort geboren sind und einen bestimmten
Pass haben. Es reicht nicht, die Asylrecht-Verschärfungen nur auf einer
moralischen Ebene zu kritisieren. Denn die rassistische Grenzpolitik der EU, die
Abschottung, wachsender Rechtspopulismus und Hetze gegen Geflüchtete haben
unmittelbar mit dem kapitalistischen System zu tun.
Fluchtursachen sind vielfältig. Was sie aber verbindet, ist die Tatsache, dass
sie eine Konsequenz der globalen Wirtschaftsweise sind, in der die Profite von
Wenigen wichtiger als ein gutes Leben für uns alle ist. Egal ob
Umweltkatastrophen, die durch die globale Klimakrise von transnationalen
Konzernen angefeuert werden, oder wirtschaftliche und soziale Schieflagen, die
Ländern durch Sparmaßnahmen anderer Länder auferlegt werden – das Profitstreben
im Kapitalismus nimmt keine Rücksicht auf die Sicherheit und gute
Lebensbedingungen von Menschen weltweit. Das Handeln von den Regierungen im
wirtschaftlichen Zentrum des globalen Kapitalismus führt unmittelbar zu
Umständen, die Menschen zur Flucht zwingen.
Gerade Staaten die davon besonders profitieren, wie Deutschland, die USA oder
andere europäische Länder, schotten sich ab und bauen gewaltsame Grenzen. Diese
Abschottung passiert, um den Wohlstand der jeweiligen Nation aufrecht erhalten
zu können und das nationale Kapital zu schützen. Diese Entwicklung ist also
nicht einfach moralisch falsch, sondern eine logische Konsequenz für Staaten im
kapitalistischen Wettbewerb mitzuhalten.
Nicht nur der rassistische Umgang mit Menschen auf der Flucht ist unserem
kapitalistischem System geschuldet. Auch wenn es Migrant*innen beispielsweise
nach Deutschland schaffen, werden sie in teils rechtswidrigen Verhältnissen
besonders stark auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet. Durch Arbeitsmarkt- und
sozialpolitische Gesetze werden migrantisierte Menschen in Deutschland in
deutlich schlechter bezahlte Jobs gedrängt. Auch hier wird rassistische
Migrationspolitik sichtbar.
Seit Jahren lässt sich bei konservativen und liberalen Parteien die Strategie
beobachten, durch einen (vor allem asylpolitischen) Rechtsruck
rechtspopulistischen Kräften den Rang abzulaufen. Diese Strategie ist
gefährlich, falsch und wir verurteilen sie aufs Schärfste! Rechte Framings
aufzunehmen, schwächt Rechtspopulist*innen nicht, sondern im Gegenteil:
Rechtspopulist*innen werden gestärkt und Asylrechtsverschärfungen gehen mit
verstärktem Rassismus einher. Eine restriktive und rassistische Asylpolitik ist
also nicht nur ein massiver Angriff auf die Rechte und die Sicherheit von
flüchtenden Menschen. Sie ist auch eine akute Gefährdung aller migrantisierter
Menschen, auch hier in Deutschland! So sind im letzten Jahr deutlich mehr
Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte verübt worden – und in den ersten drei
Monaten diesen Jahres haben sich die Angriffe nochmal verdoppelt.
Rassismus und rechtspopulistische Erzählungen verfangen bei vielen Menschen
deshalb so gut, weil sie eine einfache Antwort auf Abstiegsängste,
Existenzsorgen und Unsicherheit geben. Solche besorgniserregenden Erfahrungen
machen viele Menschen – oft aber vor allem auch migrantisierte Menschen. Für uns
steht fest: Wir lassen uns durch Rassismus nicht spalten und kämpfen gemeinsam
für bessere Arbeitsbedingungen und wirklich sichere soziale Absicherungssysteme!
Eine Welt der Menschlichkeit ist möglich
Angesichts der strukturellen Probleme, die hinter dem Umgang mit Flucht und
Migration stehen, kann man sich schnell machtlos fühlen. Dabei ist aber klar:
Menschen fliehen aus Verzweiflung, Hunger oder Krieg. Keine noch so hohe Mauer,
kein noch so spitzer Stacheldraht, keine noch so unmenschliche Behandlung wird
einen Menschen von der Flucht abhalten.
Die Verschärfungen sind daher auch eine Ablenkungsdebatte, weil man reale
Möglichkeiten zur Verbesserung der humanitären Lage nicht finanzieren will.
Gerade darauf muss aber der Fokus liegen: Die aufnehmenden Kommunen und die
Außengrenzstaaten müssen europaweit besser unterstützt werden. Dies kann nur
durch eine verpflichtende solidarische Aufnahme und Verteilung in Europa
passieren. Statt einer weiteren Entrechtung und Auslagerung von Asylverfahren
braucht es eine würdevolle Unterbringung und einfache Möglichkeiten zur
gesellschaftlichen Teilhabe in ganz Europa.Für flüchtende Menschen ist die
Flucht alternativlos. Niemand begibt sich freiwillig auf gefährliche
Fluchtrouten und zahlt sehr viel Geld für einen Platz auf einem völlig
überfüllten Schlauchboot. Diese Menschen müssen geschützt werden. Daher stellen
wir uns der Kriminalisierung ziviler Seenotretter*innen entschieden
entgegen.Private Seenotrettung darf, auch durch die deutsche Bundesregierung,
nicht weiter kriminalisiert werden. Zivile Seenotrettung muss solange
unterstützt werden, bis die staatlichen Akteur*innen in ihre Verantwortung
zurückkehren. Die Finanzierung und Ausrüstung der sogenannten Libyschen
Küstenwache, die sich an Menschenrechtsverstößen und Schlepperei beteiligt,
lehnen wir ausdrücklich ab.
Sollte das nicht gelingen und der GEAS-Beschluss im Wesen unverändert bleiben,
muss Deutschland final mit “Nein” stimmen. Das ist auch nach dem Trilogverfahren
noch möglich. Sollten sich keine oder nicht ausreichende Verbesserungen im
laufenden Verfahren ergeben und der Beschluss nach wie vor mit den europäischen
Grundwerten brechen, ist dieser für Grüne Minister*innen nicht zustimmungsfähig.
Der weitere Ausbau der Festung Europa ist nicht hinnehmbar. Ein tragbarer
Kompromiss bedeutet mehr, als nur Kinder oder Menschen aus mehr Herkunftsstaaten
aus den Haftlagern ausgenommen werden. Menschenrechte sind individuell und nicht
an Alter oder Herkunft geknüpft.
Unser Ziel ist es, GEAS fundamental zu verändern. Es muss eine wirkliche
Verbesserung der Rechte und des Lebens von Menschen auf der Flucht geben.
Das heißt: Keine Verringerung von Standards in Asylverfahren, keine
verpflichtenden Grenzverfahren, keine Haft-Ähnlichen Bedingungen an den
Außengrenzen.Als Verband werden wir diese Position selbstbewusst, gegen
Widerstände nach außen und auch innerhalb der Grünen Partei weiter vertreten und
für Menschenrechte auf allen Ebenen kämpfen. Mit dem Länderrat im Juni 2023 ist
die parteiinterne Debatte um Grünes Handeln in der Ampel nicht beendet. Grünes
Regierungshandeln darf nicht daraus bestehen, Menschenrechtsverletzungen
mitzutragen. Wir erwarten von Grünen in der Regierung, private Seenotrettung zu
ermöglichen und die Achtung der Menschenwürde, auch an den europäischen
Außengrenzen, zu verteidigen. Auch innerhalb einer Regierung müssen die Grünen
zu ihrer Grundsatzprogrammatik und Parteitagsbeschlüssen stehen und nicht alle
Inhalte dem gemeinsamen Kompromiss opfern. Wir erwarten von der Bundesregierung
und der Grünen Partei, sich klar für die Rechte von geflüchteten Menschen und
gegen jegliche Verschärfungen des Asylrechts einzusetzen.
Neben diesen notwendigen Reformen ist für uns klar: Wir kämpfen weiter für eine
befreite Gesellschaft! Das heißt auch: Ein Recht auf globale Bewegungsfreiheit
zu erkämpfen. Menschen dürfen nicht mehr aufgrund ihres Geburtsortes und Passes
an einen Ort gebunden sein.
Aber es heißt auch: Als Linke innerhalb von Deutschland dafür zu kämpfen, dass
durch deutsches (außenpolitisches) Handeln weltweit keine Menschen mehr
ausgebeutet werden.
Das heißt für uns: Wir müssen eine möglichst starke linke Bewegung innerhalb von
Deutschland und innerhalb der Europäischen Union aufbauen. Für die Menschen
innerhalb Deutschlands, Europa und Weltweit. Dafür brauchen wir möglichst viele,
organisierte Menschen bei uns vor Ort. Das kann ganz konkret in Bündnissen mit
der Seebrücke, mit Fridays for Future, den anderen Jugendorganisationen,
Gewerkschaften und vielen anderen Akteur*innen sein.
Linke Antworten müssen wieder greifbar werden, um den Konservativen und Rechten
den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dafür werden wir auch weiterhin als gesamter
Verband kämpfen.