Veranstaltung: | 1. Länderrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | L aktuelle politische Lage |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 1. Länderrat 2022 |
Beschlossen am: | 16.07.2022 |
Eingereicht: | 19.07.2022, 09:54 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Solidarität leben – Antrag zur Unterstützung der Ukraine
Beschlusstext
Die GRÜNE JUGEND ist ein internationalistischer Verband. Als solcher mischen wir
uns in Debatten der europäischen und globalen Politik ein und setzen uns für
internationalen Frieden ein. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden der Ukraine
mit dem Budapester Memorandum von Seiten der USA, Großbritannien und Russland
Sicherheitsgarantien zugesichert. Im Gegenzug musste die Ukraine ihre gesamten
Atomwaffen abgeben. Die vereinbarten Sicherheitsgarantien beinhalteten jedoch
keine Sanktionsmechanismen für den Fall eines Vertragsbruchs.
Schritte der Ukraine, sich dem Westen anzunähern, sowie die Entwicklung der
Ukraine Richtung Demokratie, wurden von Russland früh als Bedrohung der eigenen
Machtposition wahrgenommen und mündeten 2014 in die völkerrechtswidrige Annexion
der Krim, sowie in einem von Russland inoffiziell unterstützten Krieg in der
Ostukraine. Der seitdem schwelende Konflikt wurde am 24. Februar 2022 durch den
russischen Angriff auf die Ukraine eskaliert. Seitdem herrscht in der gesamten
Ukraine ein schrecklicher Krieg, der für die Menschen in der Ukraine
unvorstellbares Leid bedeutet. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet
werden. Dies kann jedoch nicht durch einen Diktatfrieden geschehen, sondern
durch einen Frieden, der die freie und demokratische Selbstbestimmung der
Menschen in der Ukraine garantiert und russischen Imperialismus klar
zurückweist. Auf dem Weg dahin muss bei jeder Form politischen Handelns der
Schutz von Menschen in den Mittelpunkt gerückt werden. Insbesondere müssen wir
uns innerhalb einer feministischen Außenpolitik auf marginalisierte Gruppen
fokussieren, da sie in einem solchen Krieg besonders leiden, wie beispielsweise
queere Menschen, Frauen oder Drittstaatler*innen, die aus der Ukraine flüchten.
Besonders als Teil der politischen Linken ist für uns als GRÜNE JUGEND die
Frage, wie dieses politische Handeln aussehen kann, eine komplexe, teils mit
unseren pazifistischen Grundwerten im Widerspruch stehende. Klar ist jedoch: Die
Diskussion um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und das Einsetzen des
Sondervermögens für die Bundeswehr sind konservative Scheinlösungen unter dem
Deckmantel der Solidarität. Es sind teure Symbole, die keinen aktiven Beitrag
zum Ende dieses Krieges setzen und den Menschen in der Ukraine nicht helfen. Sie
senden als potentielle Befeuerung einer Aufrüstungsspirale ein falsches Signal
an die internationale Gemeinschaft und müssen deshalb als politischer Irrweg
abgelehnt werden.
Schon jetzt bewerten Friedensforscher*innen die Gefahr einer atomaren
Auseinandersetzung als so groß wie seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr. Die
Antworten darauf müssen praktische Solidarität durch finanzielle Unterstützung
russischer und ukrainischer antifaschistischer Linker vor Ort, Diplomatie und
Deeskalation, nicht Aufrüstung und Eskalation sein. Es gilt jetzt linke
Antworten auf komplexe Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zu finden und so
den Menschen in der Ukraine wirklich zu helfen. Diese brauchen nicht nur unsere
Solidarität, sondern echte Unterstützung – jetzt, aber auch wenn der Krieg
vorbei sein wird. Unterstützung umfasst dabei viele verschiedene Bereiche und
Formen.
Humanitäre Hilfe
Wir sehen, dass aktuell eintritt, was schon Ende Februar befürchtet wurde: Die
anfänglich große Solidarität ebbt nach und nach ab, Spenden werden geringer und
Hilfsprogramme werden eingestellt. Dabei wird die humanitäre Krise nur größer,
je länger der Krieg dauert. Deshalb setzen wir uns für umfangreiche humanitäre
Hilfen jetzt und in Zukunft ein. Diese dürfen erst eingestellt werden, wenn das
Leid der Menschen in der Ukraine beendet wurde. Auch beim gesellschaftlichen und
infrastrukturellen Wiederaufbau muss Hilfe geleistet werden. Dafür ist eine
Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe und orientiert an den
Wünschen von Ukrainer*innen nötig.
Allen Menschen die Flucht und ein sicheres Unterkommen
ermöglichen
Mehr als 13,5 Millionen Ukrainer*innen sind derzeit auf der Flucht, und es
werden jeden Tag mehr. Schon in den ersten Tagen nach dem russischen Überfall
breitete sich durch ganz Deutschland und Europa eine große Welle an Solidarität
für die Menschen aus der Ukraine aus. Notunterkünfte und unbürokratische
Soforthilfen wurden vielerorts gewährt. Zugleich zeigt sich, dass staatliche
Strukturen nach 2015 nicht hinreichend reformiert wurden, und die größte Last
weiterhin auf dem Engagement und Einsatz von Ehrenamtlichen liegt. Dies ist
fahrlässig und nicht zu verantworten. Stattdessen braucht es endlich
zuverlässige Aufnahmestrukturen, die Menschen wie Menschen behandeln und echte
Perspektiven schaffen. Dabei muss den Ansätzen einer Klassifizierung von
Geflüchteten anhand von Kriterien wie Herkunftsland oder Religion entschieden
entgegengetreten werden. Asyl ist ein universelles Menschenrecht, und muss
endlich als solches anerkannt und durchgesetzt werden. Das heißt, dass
insbesondere auch Menschen, die sich als Drittstaatler*innen in der Ukraine
aufgehalten haben und Männer, die vor der zwangsweisen Teilnahme an den Kämpfen
geflohen sind, aufgenommen werden müssen. Aber auch Menschen, die als
Dissidenten und Kriegsgegner*innen aus Russland fliehen, müssen bei uns Schutz
finden und eine unbefristete Bleibeperspektive in Deutschland bekommen.
Sanktionen als Mittel, um Verhandlungsdruck zu erhöhen
Wir müssen der russischen Politik entschieden entgegentreten.
Wirtschaftssanktionen treffen dabei oft die am meisten, die am wenigsten haben.
Trotzdem sind sie als Mittel der Auseinandersetzung derzeit unumgänglich. Sie
müssen deshalb so zugeschnitten werden, dass sie so gut wie möglich auf die
Menschen begrenzt werden, die in Wirtschaft und Politik an den Hebeln der Macht
sitzen und nicht die treffen, die ohnehin schon unter den Auswirkungen des
Krieges und der russischen Politik leiden. Insbesondere Sanktionen gegen
Oligarchen als wichtige Stützen des Regimes müssen dabei konsequent durchgesetzt
werden und dürfen nicht bei der formalen Androhung stehenbleiben. Eine
authentische Politik der Solidarität mit der Ukraine bedeutet auch ein Ende der
Finanzierung der russischen Kriegsführung durch die Hintertür. Deutschland ist
derzeit der größte Abnehmer von russischem Gas, bei den Importen von Öl der
zweitgrößte. Energiegeschäfte machten etwa ein Drittel des russischen
Staatshaushalts aus. Damit beteiligt sich Deutschland aktuell zu einem nicht
unerheblichen Teil an der Finanzierung des russischen Angriffskriegs. Wir
fordern daher: keine weiteren Geschäfte mit Putin! Es braucht ein schnelles,
konsequentes und dauerhaftes Embargo gegen Energieimporte aus Russland.
Dabei wird uns ein Rückfall auf fossile Energien anderer Art nicht retten. Eine
verlängerte Nutzung von Kohleenergie, Atomkraft oder ein langfristiger Ausbau
von LNG-Terminals sind Scheinlösungen, die wir nicht zulassen dürfen. Vielmehr
müssen die Bewältigung von Krieg und Klimakrise zusammengedacht werden. Wir
brauchen eine größere Energieeffizienz, umfassende Energieeinsparungen in allen
Sektoren, Turbo bei den Erneuerbaren, eine konsequente Wärmewende und eine
Strategie für einen Gasausstieg bis 2035. Dies alles darf dabei nicht auf dem
Rücken derjenigen finanziert werden, die schon jetzt unter steigenden Preisen
leiden, sondern durch eine Abkehr von der Schuldenbremse, der Abschöpfung von
Übergewinnen und der Besteuerung großer Vermögen. Nur darin liegt eine
nachhaltige Lösung, die uns vor künftigen Kriegen bewahren kann.
Keine Gewinne mit dem Krieg
Wir erkennen an, dass Waffenlieferungen an die Ukraine zum Schutz der
ukrainischen Bevölkerung notwendig sind, um in der aktuellen Situation den
Widerstand gegen die russische Aggression international solidarisch zu
unterstützen. Diese sind ein Mittel der konkreten Hilfe, um sicherzustellen,
dass nicht das russische Regime darüber bestimmt, wie die Ukrainer*innen leben,
sondern die Menschen in der Ukraine selbst über ihr Leben entscheiden können.
Gleichzeitig kritisieren wir, dass die militärische Unterstützung in der
Rüstungsindustrie für Milliardengewinne sorgt. Wir setzen uns für eine
Vergesellschaftung und langfristige Verkleinerungvon Rüstungsunternehmen
ein,damit sich die Produktion von Rüstungsgütern nicht länger an
Profitinteressen orientiert und nur noch bedarfsgerecht stattfindet. So können
wir den Profit Weniger am Leid Vieler verhindern und einer Aufrüstungsspirale
entgegentreten.
Russische Oppositionelle unterstützen statt isolieren
Der russische Angriffskrieg beweist erneut, dass vor allem die einfachen
Menschen diejenigen sind, die unter den Folgen eines Krieges leiden. Dies gilt
auch für die russische Zivilbevölkerung, die seit Jahren unter Putins Regime
leidet und deren Proteste immer wieder gewaltsam niedergeschlagen werden, im
Versuch, jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Ein Teil der russischen
Bevölkerung unterstützt den Krieg. Dies liegt auch an der massiven Einschränkung
demokratischer Rechte sowie der Presse- und Meinungsfreiheit in Russland. Unsere
Solidarität gilt all jenen, die sich trotz aller Repressionen auf russischer
Seite gegen den Krieg stellen und versuchen, den Widerstand zu organisieren und
auf die Straße zu bringen. Sie gilt es konsequent zu unterstützen, statt
beispielsweise durch Sanktionen im kulturellen Bereich weiter zu schwächen.
Verantwortlich für den Krieg ist die russische Regierung, nicht die Menschen,
die selbst unter dem Regime leiden. Wir stellen uns solidarisch an die Seite
jener, die aufgrund ihrer russischen Herkunft Ausgrenzung und Rassismus erfahren
und für den Krieg verantwortlich gemacht werden.
Globale Auswirkungen in den Blick nehmen
Der Krieg in der Ukraine hat Folgen für die ganze Welt. Die Ukraine und Russland
ernten zusammen mehr als ein Viertel des Weizens und 15 Prozent des Mais
weltweit. Russland hat einen Exportstopp auf Getreide verhängt und die Bestände
der Ukraine können infolge des Kriegs in weiten Teilen nicht geerntet und
transportiert werden. Dies stellt eine enorme Gefahr für die globale
Ernährungssouveränität dar. Es besteht ein Risiko für weltweite Krisen und die
Destabilisierung ganzer Weltregionen, wie sie mit den sich verschärfenden
Hungerrevolten im Iran schon jetzt zu beobachten sind. Dem muss durch eine
Förderung der Entwicklungszusammenarbeit mit besonders stark von Hunger
betroffenen Regionen dringend entgegengewirkt werden. Gleichzeitig sehen wir: Es
sind mehr als genug Nahrungsmittel für alle da. Es fehlt nicht an der Menge,
sondern es hängt an der Frage, wie das Produzierte verteilt und verwendet wird.
Außenpolitik solidarisch denken
Außenpolitik wird viel zu oft in wirtschaftlichen Interessen gedacht und viel zu
selten an den Bedürfnissen von Menschen ausgerichtet. Wir als GRÜNE JUGEND
stehen ein für eine Politik für Menschen statt für Profite.
Internationale Solidarität darf nicht nur ein Ruf auf Demonstrationen und
Kundgebungen sein, sondern muss endlich international gelebt werden! Dafür
setzen wir uns als GRÜNE JUGEND jetzt und in Zukunft weiter ein.