Veranstaltung: | 1. Länderrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | L aktuelle politische Lage |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 1. Länderrat 2022 |
Beschlossen am: | 16.07.2022 |
Eingereicht: | 19.07.2022, 09:55 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Für Sicherheit, gegen Aufrüstung
Beschlusstext
Am 27. Februar, nur 5 Tage nach Ausbruch des Krieges, verkündete Olaf Scholz als
Antwort auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine die Einrichtung eines
Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Diese Gelder helfen jedoch der Ukraine in der Verteidigung gegen den russischen
Angriff nicht unmittelbar. Wie mit dieser langfristigen Aufrüstung,
beispielsweise der Anschaffung von bewaffneten Drohnen, der Ukraine konkret im
Hier und Jetzt geholfen werden soll, bleibt unklar. Statt sich einer ehrlichen
Debatte über Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine und die Verteidigung der
osteuropäischen Demokratien zu stellen, soll jetzt die Bundeswehr im
Hauruckverfahren aufgerüstet werden.
Rechtsradikale lassen ungestört Waffen aus Bundeswehrbeständen verschwinden, es
fehlt an Unterwäsche und Helmen und Berater*innen verdienen sich an der
Bundeswehr eine goldene Nase. Diese Probleme sind durch ein Mehr an Geld nicht
zu beheben. Bei den 100 Milliarden droht ein erneutes Debakel aus unklaren
Geldströmen. So gehen aktuelle Studien davon aus, dass bis zu einem Drittel der
100 Milliarden erneut versickern könnten. Wir haben ein Struktur-, kein
Geldproblem in der Bundeswehr.
Eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr ist nachvollziehbar, aber eine
Aufrüstungsspirale muss verhindert werden.
Nicht das Geld fehlt, sondern der politische Wille!
Aber was mehr als alles andere an der Einsetzung des Sondervermögens deutlich
wurde:
Wenn darüber gesprochen wird, dass kein Geld für Hartz -IV-Beziehende da ist,
kein Geld für die Sanierung von Schulen, oder für kostengünstigen ÖPNV, dann ist
das schlicht gelogen. Denn es fehlt offensichtlich nicht am Geld, sondern
lediglich am politischen Willen. Während jetzt 100 Milliarden für Rüstung
ausgegeben werden sollen, schlittern wir im nächsten Herbst und Winter
ungebremst in eine soziale Notlage. Die Lebensmittelpreise werden immer teurer,
Mietkonzerne wollen die Miete noch weiter erhöhen und die Angst vor der nächsten
Heizkostenabrechnung ist jetzt schon allgegenwärtig. Reiche werden reicher, Arme
werden ärmer. Und der Staat greift nicht zu den Mitteln, die notwendig wären, um
das zu ändern. Wir haben als Grüne Jugend in den letzten Wochen und Monaten
gemeinsam eine starke Kampagne auf die Beine gestellt. Mit unzähligen
Ortsgruppen und Bündnispartner*innen waren wir auf den Straßen und Marktplätzen
und sind ins Gespräch gekommen mit unseren Nachbar*innen, Kolleg*innen und
Passant*innen. Auch wenn das Sondervermögen nun im Bundestag beschlossen wurde,
haben wir im Prozess der letzten Wochen viele kleinere und größere
Auseinandersetzungen gewonnen und dabei eins klar gemacht: Die Grüne Jugend ist
eine verlässliche Bündnispartnerin im Kampf gegen Aufrüstung und für echte
soziale Sicherheit.
Probleme in der Bundeswehr endlich anpacken
Dass Milliarden in die Bundeswehr gesteckt werden, ohne dass etwas an deren
Strukturen geändert wird, darf unter keinen Umständen passieren. Eine
Bedarfsprüfung der Bundeswehr und eine Reform des Beschaffungswesens muss
umgehend geschehen. Dabei müssen auch die Bereiche der Cybersicherheit als auch
des Katastrophenschutzes mitgedacht und gestärkt werden. Ein endgültiges
nachhaltiges Zerschlagen aller rechter Netzwerke in der Bundeswehr sowie die
Verhinderung von neuen rechten Strukturen muss besondere Priorität einnehmen.
Sicherheit ist mehr als Militär. In Zeiten multipler Krisen braucht es einen
erweiterten Sicherheitsbegriff. Dieser hat für uns verschiedene Facetten:
Menschenrechte international schützen
Wir brauchen mehr Gelder für die internationale Entwicklungszusammenarbeit. Die
1:1 Regel aus dem Koalitionsvertrag, nach der jeder Euro, der in Rüstung fließt,
auch in die Entwicklungszusammenarbeit fließt, muss eingehalten werden! Es muss
internationale Bekämpfung von Fluchtursachen geben. Menschen verlassen ihre
Heimat, weil ihre Lebensgrundlage durch Kriege, Ausbeutung und Klimawandel
zerstört wird. Waffenlieferungen aus Europa sind für die Vertreibung von etwa
1,1 Millionen Menschen in Kriegsgebieten verantwortlich. Statt Gelder in die
Bekämpfung und Verhinderung dieser menschengemachten Krisen zu stecken, werden
als Antwort auf die Fluchtbewegung die EU Außengrenzen schon seit Jahren
hochgerüstet. Auch hier funktioniert Sicherheit anders! Das bedeutet im
Angesicht der Klimakrise zum Beispiel, dass Industrieländer Geld zur sofortigen
Finanzierung des internationalen Klimafonds bereitzustellen.
Energieunabhängigkeit schafft Sicherheit
Die Energiepreiskrise zeigt erneut auf harte Weise, dass die Abhängigkeit von
fossilen Energien aus Russland oder Katar beendet werden muss. Erst dann kann
Energiesicherheit mit niedrigen Preisen erreicht werden. Ob beim Heizen, beim
Tanken oder beim Blick auf die Aktienkurse von Rüstungskonzernen - dieser Krieg
kennt viele Verlierer, aber zugleich auch Gewinner. Unternehmen nutzen die
Situation, um ihre Profite weiter zu erhöhen. Dem muss ein Riegel vorgeschoben
werden, beispielsweise in Form einer Übergewinnsteuer.
Sicherheit ist eine soziale Frage
Die Krise trifft alle, aber nicht alle gleich. Hier ist es die Verantwortung des
Staates, einzugreifen und soziale Härten konsequent abzufedern. Dafür braucht es
Finanzierungsspielräume, damit nicht nur die akute Preissteigerung ausgeglichen
werden kann, sondern gerade auch die, die im Herbst und Winter noch auf uns
zukommen wird. Dafür muss die Schuldenbremse auch 2023 ausgesetzt werden! Die
ersten beiden Entlastungspakete sind erste Schritte in die richtige Richtung,
doch dabei darf es nicht bleiben. Einmalzahlungen wie die Heizkostenpauschale
sind richtig und notwendig, jedoch braucht es auch strukturelle Antworten. Ob
ein regelmäßiges Klimageld, eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze
sowie eine armutsfeste Ausbildungsvergütung - die soziale Frage ist die zentrale
Frage, wenn es um Sicherheit geht. Vermeintlich soziale Maßnahmen wie ein
Tankrabatt, von dem vor allem Mineralölkonzerne profitieren, lehnen wir ab.
Stattdessen braucht es Maßnahmen, die dort entlasten, wo die Entlastung
gebraucht wird. Niemand sollte am Essen sparen oder in Sorge vor der
Nebenkostenabrechnung leben müssen!
Die vom Kanzleramt ausgerufene konzertierte Aktion soll Antworten auf die
soziale Krise liefern. Die Forderungen nach einem Sofortzuschlag im Gegenzug zu
niedrigeren Tarifabschlüssen lehnen wir ab. Die Ursachen für die steigende
Inflation sind vielfältig, von Coronakrise bis Ukrainekrieg. Der Verweis auf
eine mögliche Lohn-Preis-Spirale ist vor diesem Hintergrund absurd und wie so
häufig bloß ein Scheinargument, um Kapitalinteressen vor den Folgen dieser
Krisen zu schützen und diese auf die Bevölkerung abzuwälzen. Hohe
Tarifabschlüsse sind notwendig, um einen Reallohnverlust zu verhindern. Wir
stehen solidarisch an der Seite der Gewerkschaften! Auch der Staat muss seiner
Verantwortung gerecht werden: Diejenigen, die nicht von hohen Tarifabschlüssen
profitieren, müssen durch absichernde Zahlungen unterstützt werden. Dazu zählen
Studierende, Rentner*innen und Menschen, die Hartz IV und Arbeitslosengeld
beziehen.
Die gedrosselten Gaslieferungen der Pipeline Nord Stream 1 werden die
Preissteigerungen massiv verschärfen. Der Zugang zur Energieversorgung ist ein
Grundrecht und darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Schon jetzt ist aber klar,
dass die Preise im Herbst weiter explodieren werden. Wir schließen uns der
Forderung eines Energiepreisdeckels an, welcher für den Grundbedarf an Energie
einen bezahlbaren Preis garantiert und darüber hinaus in nicht notwendigen
Bereichen zum Energiesparen animiert. Das ist sozial und ökologisch sinnvoll.
Kein Mensch darf durch steigende Energiepreise in eine Lage geraten,
letztendlich in einer kalten Wohnung sitzen oder diese aufgrund von zu hohen
Energieschulden gar verlieren. Deswegen setzen wir uns für ein Verbot von Strom-
und Energiesperren und ein Moratorium auf Mietkündigungen ein, wenn Haushalte
nicht in der Lage sind, die hohen Rechnungen zu bezahlen. Langfristig braucht es
Reformen in der Tarifinfrastruktur der Energieversorgung.. Wer weniger
verbraucht, sollte weniger zahlen!
Soziale Sicherheit für alle im Herbst und Winter ist die Voraussetzung dafür,
dass die notwendige Solidarität mit den Ukrainer*innen in der Bevölkerung
aufrecht erhalten werden kann.
Die Krisen, in denen wir uns befinden, sind Ausdruck globaler Ungleichheit und
eines Wirtschaftssystems, welches Mensch und Natur ausbeutet und zur Konkurrenz
zwingt. Sicherheit zu schaffen bedeutet auch, auf eine Wirtschaftsweise
hinzuarbeiten, in der nicht Viele leiden müssen, damit Wenige gewinnen!
Blicken wir nach vorn!
Auch wenn das Sondervermögen beschlossen ist, werden wir uns als Grüne Jugend
nicht geschlagen geben, sondern weiter für all jene Anliegen kämpfen, die
tatsächliche Sicherheit schaffen. Die soziale Flanke der Ampel-Regierung wird
sich nicht von alleine schließen. Wir müssen uns für unsere Interessen selbst
stark machen!
Gemeinsam werden wir als Grüne Jugend weiterhin die Menschen auf die Straßen
bringen und den Widerstand organisieren. Wir werden die Politik der Ampel weiter
kritisch begleiten und den Druck auf den Straßen weiter erhöhen, denn die
parlamentarische Arbeit hat ihre klaren Grenzen. Wir als Linke haben jetzt die
Verantwortung zu zeigen, wie soziale Politik für die Vielen mit den Vielen
gelingen kann.
Das wird unsere Aufgabe bleiben in den kommenden Wochen und Monaten.
Gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen, mit den Landesverbänden und vor
allem - unserem Herzstück - den Ortsgruppen.