Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | W – Wahlnachlese |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 01.11.2019 |
Eingereicht: | 01.11.2019, 19:44 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Dringlichkeitsantrag: Nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen: Antifa in die Offensive!
Beschlusstext
23,4 % – 23,5 % – 27,5 % – Das sind die Ergebnisse der AfD bei den vergangenen
Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Der gesellschaftliche
Rechtsruck manifestiert sich für die nächsten 5 Jahre in drei Landesparlamenten.
Das Ergebnis macht nochmals deutlich, dass der bisherige Umgang der Gesellschaft
mit der populistischen bis faschistischen Rechten, insbesondere die Übernahme
von Teilen ihrer Positionen und Rhetorik, zu ihrer Stärkung beigetragen hat. Es
ist nun ein radikales Umsteuern nötig, um den Faschismus zurückzudrängen.
Bei den Landtagswahlen war zu beobachten, dass sich an vielen Stellen der
Zweikampf „AfD gegen die stärkste demokratische Partei“ herauskristallisierte,
völlig unabhängig davon, welche Partei die stärkste demokratische Partei war. Es
ist gut, dass die AfD nirgendwo stärkste Kraft geworden ist, wie es ihr Ziel
war, was letztlich aber auch auf Kosten des Ergebnis von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ging.
Vor allem in Thüringen ist das Ergebnis bitter. Aber auch in Sachsen und
Brandenburg ist die Lage nicht viel rosiger. Das grüne Ergebnis in diesen beiden
Ländern ist zwar das beste, das wir in den neuen Bundesländern je hatten, aber
es zeigt: Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns, denn die progressive Linke
ist zumindest in diesen Ländern noch nicht in der Breite der Gesellschaft
angekommen, was sich auch daran zeigt, dass Linke, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
in Sachsen zusammen weniger Stimmen erhalten haben als die AfD allein. Linke
Mehrheiten, wie sie in den Stadträten von Dresden oder Leipzig möglich sind,
sind weit weg von der jetzigen Realität.
Doch es gibt auch einige positive Lichtblicke, die wir nicht unterschätzen
sollten. Die Grünen haben ihre ersten Direktmandate in den neuen Bundesländern
überhaupt geholt, die Mitgliederzahlen der GJ-Ortsgruppen wachsen stetig an.
Auch während der letzten Wahlkämpfe haben sich unsere Aktivist*innen vor Ort
lautstark und engagiert eingesetzt. Gemeinsam mit Mitstreiter*innen aus ganz
Deutschland waren sie unterwegs um für ein gutes Ergebnis zu kämpfen. Diese
innerverbandliche Solidarität ist notwendig und muss in Zukunft nicht nur weiter
gepflegt, sondern auch ausgebaut werden.
Unsere Demokratie ist in Gefahr – machen wir sie stärker!
Nun erwarten uns schwierige Koalitionsverhandlungen und schwierige
Koalitionsjahre. Denn die Stärke der AfD und die an vielen Stellen herrschende
Ablehnung der Linkspartei durch die CDU, sorgen rein rechnerisch für ein oft
großes Maß an vermeintlicher Alternativlosigkeit.
In Brandenburg wurde ein richtungsweisendes, aber trotzdem nicht progressives
Bündnis zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linkspartei vorschnell
abgelehnt. Der gemeinsam betitelte Neuanfang durch die Koalitionäre aus SPD, CDU
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist für uns nicht nachvollziehbar, wenn auch der
bündnisgrüne Federstrich deutlich erkennbar ist. Nach 10 Jahren klimapolitischem
Stillstand unter Rot-Rot hat das anstehende Kenia-Bündnis mit den Bündnisgrünen
die Chance, zum ersten Mal Klimaschutz und Nachhaltigkeit in dem
Regierungsprogramm zu verankern. Ob die Kenia-Regierung tatsächlich zustande
kommt, wird nun von der Basis abgestimmt.
In Sachsen sehen sich die Bündnisgrünen einem etwaigen Bündnis mit der SPD und
der CDU konfrontiert, um eine Schwarz-Blaue Regierung durch die Hintertür einer
Minderheitsregierung zu verhindern. Diese Gefahr ist real, denn die sächsische
CDU teilt erschreckend viele Ansichten mit der AfD.
Noch schwieriger sieht es in Thüringen aus. Noch ist völlig offen, ob und wie
eine Koalition zustande kommen kann. Ein „Nein“ der FDP und der CDU zur
Linkspartei oder sogar eine mögliche Koalition mit der AfD oder eine Duldung
durch selbige, wie in Teilen der CDU gefordert, ist für unsere Demokratie
schlicht unverantwortlich. Insbesondere die Thüringer AfD ist eine faschistische
Partei und wer mit ihr reden will, kann keine Koalitionspartnerin von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN sein. Sollte die CDU eine Regierungsbeteiligung der AfD
verursachen oder sich von ihr abhängig machen, wäre das ein entscheidender
Kipppunkt für die Institutionalisierung des Faschismus. Das dürfen wir nicht
zulassen. Um keinen Preis. Dabei gingen einige CDU-Verbände auf kommunaler Ebene
schon weiter und kooperier(t)en mit der AfD – von Absprachen zur Organisation
von Mehrheiten bei Abstimmungen oder Wahlen zur Besetzung von Ausschüssen bis
hin zu gemeinsamen Fraktionen oder Zählgemeinschaften. Solche Kooperationen sind
der Beginn einer Annäherung an die AFD, die, wenn sie sich verstetigen, zu einer
Normalisierung der AfD führen werden, woraus wiederum Koalitionen aus CDU und
AfD erwachsen können.
Und nun? - Linke Mehrheiten erkämpfen – Für das schöne Leben für alle!
Die Ergebnisse zeigen uns, dass es notwendig ist, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch
weiterhin so stark wie möglich zu machen, da Thüringen erneut gezeigt hat, dass
eine bündnisgrüne Fraktion im Landtag leider immer noch keine
Selbstverständlichkeit ist.
Wir werden intern und extern auch weiterhin klar machen, dass der Rechtsruck nur
mit progressiven Mehrheiten, insbesondere mit der SPD und der Linkspartei zu
bekämpfen ist. Deswegen müssen wir auch weiterhin mit Jusos und der Linksjugend
darauf hinwirken, dass linke, progressive Perspektiven in der Partei Gehör
finden und sich die Parteien klar zur Antifaschistischen Aktion bekennen.
In der Geschichte ist ein Erstarken rechter Strömungen häufig mit einer
verfehlten Sozialpolitik einhergegangen, für eine Erklärung des starken AfD-
Ergebnisses greift diese Erklärung allerdings zu kurz. Die Rhetorik und
Landeswahlprogramme der AfD zeigen, dass es ihr gerade nicht um eine Lösung der
sozialen Frage geht, sondern um eine Ethnisierung derselbigen. Ökonomische
Ungerechtigkeiten werden durch die Rechte nicht als Verteilungsfragen behandelt,
sondern als Ventil, um Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, u. a.
Rassismus und Antisemitismus, zu schüren. Das Ziel rechter Akteur*innen,
Minderheiten als Sündenböcke darzustellen, stößt zumindest bei einem Teil der
Thüringer Bevölkerung auf offene Ohren – zeigen doch Umfragen wie der Thüringer
Monitor seit Jahren ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild bei einem Teil der
Menschen. Dazu kommen gefestigte rechtsextreme Netzwerke und Bastionen, auf
denen die AfD aufbauen kann. Multivariate Analysen zeigen, dass ehemalige
Wahlerfolge der NPD den Boden für heutige AfD-Wahlerfolge bereiteten. Wo sich
rechtes Gedankengut einmal verankern konnte, wirkt es auf lange Zeit fort.
Daraus ergeben sich aus antifaschistischer Perspektive mehrere Folgerungen.
Eine gerechte Sozialpolitik lässt sich mit Konservativen und Neoliberalen wohl
kaum grundlegend verbessern. Wenn wir nachhaltig gegen die Rechten vorgehen
wollen, braucht es deshalb auf Bundes- wie auf regionalen Ebenen progressive,
sozialpolitisch orientierte Bündnisse, um insbesondere der AfD, aber auch
anderen rechten Bewegungen und Vorfeldorganisationen, den Wind aus den Segeln zu
nehmen.
Dabei gilt es, in den öffentlichen Debatten eigene Themen zu platzieren und
diese positiv zu vertreten, anstatt ständig bloß auf Vorstöße der Rechten zu
reagieren und über jedes Stöckchen zu springen, welches sie uns hinhalten. Die
gesellschaftliche demokratische Mehrheit darf sich von der AfD und den rechten
Strömungen nicht ständig treiben lassen – weder indem sie sie die thematischen
Schwerpunkte des politischen Diskurses vorgeben lassen noch indem das Framing
rechter Strömungen aufgegriffen wird.
Klar ist ebenso, dass menschenverachtende Äußerungen sowie gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit niemals unwidersprochen bleiben dürfe und immer klare
Widerworte von uns als Demokrat*innen erfordern.
Weiter bedeuten Demokratieförderung und eine klare Kante gegen Rechtsaußen auch
immer Gendergerechtigkeit und Frauenförderung. Feminismus und Antifaschismus
gehören zusammen! Für uns als feministischen Jugendverband bedeutet das, dass
wir solidarisch sind mit den progressiven Parlamentarierinnen, die in den
nächsten Jahren vermehrt die Zielschreibe frauenverachtenden konservativ-rechten
Hasses werden dürften. Es gilt außerdem, queere und feministische
zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen und Angriffe auf deren
Arbeit wie auch Einzelpersonen gemeinsam abzuwehren. Solidarität ist unsere
größte Waffe gegen Rechts.
Es mangelt allerdings auch an einer schlagkräftigen, handlungsfähigen
Organisierung antifaschistischer Strukturen auf Bundesebene. Selbst die
Finanzierung gut funktionierender, demokratiefördernder Projekte ist von der
Gunst der Regierung abhängig und wird immer wieder gekürzt. Das muss sich
ändern: Demokratische und menschenrechtsorientierte Bildung müssen sowohl in den
Schulen als auch in der außerschulischen Bildung weiter ausgebaut und finanziell
gestärkt werden, um menschenverachtenden Einstellungen in der Bevölkerung
entgegenzuwirken.
Wir müssen antifaschistische Bündnisse mit Perspektive aufbauen und gleichzeitig
Bündnisse zu anderen wesentlichen Themen stärken. Da wir für eine
gesamtgesellschaftliche Veränderung kämpfen, müssen wir auch unsere Antworten
auf die wesentlichen Fragen mehrheitsfähig machen. Dabei geht es insbesondere
auch darum, jungen Menschen endlich eine Stimme zu geben. Unsere Parlamente sind
weiterhin massiv überaltert und überproportional männlich – das muss sich
ändern.
Die bedrückenden Wahlergebnisse müssen uns ermutigen unsere antifaschistischen,
feministischen und ökologischen Kämpfe in ostdeutschen Bundesländern zu
verstärken. Dafür wird es nötig sein, die junggrünen Strukturen zu verstärken
und zu unterstützen. Es reicht nicht, einmal am 1. Mai zum Demonstrieren nach
Erfurt zu fahren, sondern die Unterstützung muss darüber hinaus gehen. Als GRÜNE
JUGEND müssen wir stärker, lauter und sichtbarer im Osten werden. Dazu gilt es,
die vorhandenen Strukturen auszubauen und neue Strukturen aufzubauen. Um damit
dauerhaft erfolgreich zu sein, sowie um uns auch im ländlichen Raum zu
verankern, braucht es bundesweite Unterstützung. Das könnte durch Strategien für
den ländlichen Raum, personelle Betreuung schwächerer Ortsgruppen
(Wissenstranfer, Orgaunterstützung, Präsenz des Bundesvorstands) und
Mitgliederakquirierung geschehen.
Wir wissen noch nicht, wie unsere Zukunft aussieht. Aber wir werden nicht
einfach zusehen, sondern mit aller Kraft für das schöne Leben kämpfen.
Begründung
erfolgt mündlich