Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | K – Feministische Kämpfe |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 02.11.2019 |
Eingereicht: | 02.11.2019, 18:06 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Eine Frage der Demokratie – Hate Speech effektiv bekämpfen
Beschlusstext
„Dumme Göre“, „fette Fotze“, „Dich sollte man vergewaltigen!“ – solche
Kommentare sind für viele Menschen, gerade solche, die öffentlich Stellung für
Menschenrechte oder Klimaschutz beziehen, längst keine Seltenheit, sondern
Alltag. Der Hass im Netz nimmt seit Jahren zu und trifft dabei insbesondere
junge Frauen.
Hate Speech ist dabei nicht einfach eine Frage des Benehmens oder des
zwischenmenschlichen Umgangs – sondern der gezielte, und in vielen Fällen auch
organisierte Versuch, Frauen, die klar Stellung beziehen, mundtot zu machen und
aus der öffentlichen Debatte zu verdrängen.
Das Ziel ist die Vorbereitung der Gesellschaft auf die anvisierte Abschaffung
demokratischer Errungenschaften. Eine alte Strategie der organisierten Rechten
ist es, durch gezielte Tabubrüche und die Verschiebung des politischen Diskurses
eine gesellschaftliche Hegemonie für ihre antidemokratischen Positionen zu
schaffen, die dann zur Grundlage für menschenverachtende Politik werden. Denn
die Bedrohung ist längst nicht mehr nur abstrakt. Der Mord an Walter Lübcke oder
geheime Todeslisten zeigen, dass den Worten der Rechten auch Taten folgen. Der
entfesselte Hass, die Masse an Verachtung und die totale Verrohung der
öffentlichen Debatte zielen bewusst darauf ab, Angst zu erzeugen, vermeintliche
politische Gegner einzuschüchtern und sie von ihrem Engagement für Demokratie
und eine plurale Gesellschaft abzuhalten. Rechtsextreme, rassistische,
antisemitische, völkische und frauenfeindliche Gruppen wollen, dass progressive
und emanzipatorische Kräfte Angst davor haben, für so etwas Grundsätzliches wie
Menschenrechte einzustehen. Ihr erklärtes Ziel ist es, dass sich diejenigen
irgendwann rechtfertigen müssen, die finden, dass Frauenrechte wichtig sind oder
Menschenleben eben nicht zur Diskussion stehen. Dass sie sich irgendwann nicht
mehr trauen, Themen anzusprechen, die nicht in ein rechtsextremes,
rassistisches, antisemitische, antifeministisches und autoritäres Weltbild
passen. Und dass ihnen dadurch das Spielfeld alleine überlassen wird.
Ebenfalls zu erwähnen ist der Antisemitismus, den Jüdinnen und Juden im Netz
erleben und die antisemitischen Sharepics, die auch von vermeintlich
progressiven und emanzipatorischen Bewegungen geteilt werden. Dass noch immer
der Holocaust als Maßstab dafür genommen wird, zu erkennen, was Antisemitismus
überhaupt ist, führt dazu, dass dieser vor allem im Netz unsichtbar gemacht
wird. Auch Jüdinnen und Juden werden durch Hate Speech attackiert.
Noch viel zu oft wird Betroffenen geraten, „doch einfach mal das Handy
wegzulegen”. Doch das Internet und soziale Netzwerke sind keine virtuelle
Parallelwelt, in die man nach Lust und Laune ein- und austreten kann. Sie sind
längst Teil unserer Realität, und als öffentlicher Raum ein wichtiger Ort für
unser demokratisches Miteinander. Strafrechtlich relevante Angriffe tragen dazu
bei, dass bestimmte Gruppen von der Gestaltung dieses öffentlichen Raums
ausgeschlossen werden. Der Einsatz gegen Hate Speech ist damit auch eine
zentrale Frage für unsere Demokratie. „Die Hälfte der Macht den Frauen“ muss
endlich auch im Netz gelten!
Für uns ist klar, dass sich Hate Speech nicht getrennt von antidemokratischer,
frauenfeindlicher und rassistischer Ideologie im Allgemeinen bekämpfen lässt.
Wer den Hass im Netz überwinden will, muss sich auch an anderen Stellen, auf der
Straße, in den Parlamenten und am Küchentisch, für eine Gesellschaft einsetzen,
in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein kann. Doch es gibt konkrete
Schritte, um das Netz zu einem gleichberechtigteren und demokratischeren Ort zu
machen.
Zeit zu Handeln!
Der Kampf gegen klar strafbare Meinungsäußerungen – ob online oder offline
geäußert – muss zwingend intensiviert und dafür Sorge getragen werden, dass das
bestehende, seit langem bekannte Rechtsdurchsetzungsproblem entschlossen
angegangen und im Zusammenspiel von Bund und Ländern beseitigt wird.
Angesichts einer weiter zunehmenden Gefährdung von demokratischem Diskurs und
zivilgesellschaftlichem Engagement sind echte Handlungen überfällig.
Wir nehmen es nicht hin, dass das für jede*n offensichtliche Problem, durch die
Bundesregierung weiter auf die lange Bank geschoben wird. Es reicht bei Weitem
nicht aus, das überhastet vorgelegte und schlecht gemachte
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), wie angekündigt, erst im Jahr 2020 zu
evaluieren. Ebenfalls ist es sehr problematisch, dass vorhandene
Strafverfolgungsmöglichkeiten von den Staatsanwaltschaften oftmals nicht genutzt
und Verfahren häufig eingestellt werden. Angesichts eines unverändert hohen
Handlungsbedarfs brauchen wir echte Verbesserungen jetzt. Dazu gehören für uns
u. a. klarere rechtliche Vorgaben an die Unternehmen, effektive Sanktionen bei
deren Nicht-Beachtung, verbesserte Meldewege und klare Kriterien zur Überprüfung
gemeldeter Inhalte, eine verbesserte Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung,
mehr und besser geschultes Personal bei Polizei und Justiz und die Stärkung der
Prävention.
Entsprechende Vorschläge zur Weiterentwicklung gesetzlicher Vorgaben, die auch
Sicherheitsmechanismen für die Meinungsfreiheit beinhalten, liegen seit langem
im und außerhalb des Parlaments vor – ohne, dass die Bundesregierung sie bislang
aufgegriffen hätte. Das NetzDG muss umgehend evaluiert und umfassend
überarbeitet und die Strafverfolgung effektiviert werden.
Wir fordern:
– Ausbau von Beratungsstellen für die Betroffenen von Hate Speech: In jedem
Bundesland soll es mindestens eine Beratungsstelle geben, an die sich Opfer von
Hate Speech wenden können. Diese Stellen sollen eine kostenfreie juristische
Beratung erfassen, da gerade die hohen Kosten einer anwaltlichen Beratung
Betroffene oft davon abhalten, gegen strafrechtlich relevante Hassnachrichten
vorzugehen.
– Klagemöglichkeiten im Zivilprozessrecht vereinfachen: Neben dem Strafrecht
bietet auch das Zivilrecht Betroffenen Möglichkeiten gegen Hate Speech
vorzugehen. Allerdings werden diese aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten,
die in Vorkasse geleistet werden müssen, nur wenig genutzt. Das trifft vor allem
Privatpersonen, die keine großen Organisationen oder Parteien hinter sich stehen
haben. Deshalb brauchen wir kostengünstige und barrierefreie Klagemöglichkeiten.
– Schulungen bei Polizei und Justiz: Nur Behörden, die das Netz, soziale Medien
und die Strategien der Neuen Rechten kennen und verstehen, können Betroffene
unterstützen Hate Speech erkennen und verhindern, dass das Internet zum
rechtsfreien Raum wird. Zusätzlich zu flächendeckenden Schulungen und
Weiterbildungen sollen deshalb Beauftragte für Hate Speech auf den einzelnen
Polizeidienststellen eingeführt werden.
– Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Hate Speech: Bei Hate Speech handelt es
sich meistens nicht um zufällige Anhäufungen von Hasskommentaren, sondern um
gezielte, systematische und koordinierte Angriffe. Als solche werden sie jedoch
oft nicht erkannt. Deshalb sollen die Staatsanwaltschaften der Länder Fälle von
Hate Speech zentral sammeln und auswerten, um erkennen zu können, wann es sich
um systematische Attacken handelt.
– Präventionsprogramme stärken: Es gibt bereits zahlreiche Programme, die sich
für die Stärkung von demokratischen Werten einsetzen und gleichzeitig über die
Strategien von Rechten im Netz aufklären. Diese Programme stehen jedoch oft auf
finanziell wackligen Beinen, das betrifft besonders linke und antifaschistische
Projekte. Wir fordern eine dauerhafte und ausreichende Finanzierung von
Präventionsprojekten und eine verpflichtende Aufnahme in die Lehrpläne des
Themas Hate Speech.
– Strafverfolgung ins Zentrum stellen: Die bestehende Gesetzeslage, insbesondere
das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zielt vor allem auf eine möglichst schnelle
Löschung von Hasskommentaren ab. Das kann jedoch im Fall von strafrechtlich
relevanten Fällen eine juristische Verfolgung erschweren. Das Netz darf jedoch
kein straffreier Raum sein. Deshalb muss die Strafverfolgung bei Hate Speech
priorisiert werden. Dafür muss das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schnellstmöglich
reformiert werden.
Hass im Netz geht gegen uns alle. Deshalb freut es uns sehr, dass sich immer
mehr Initiativen bilden, die sich digitaler Gewalt entgegen stellen. Wir setzen
uns gemeinsam mit vielen Verbündeten für ein Netz ein, in dem sich alle sicher
fühlen können. Deshalb schließen wir uns mit diesem Beschluss dem Aufruf
#netzohnegewalt an.
Time to fight back.