Veranstaltung: | 1. Länderrat 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Anträge |
Antragsteller*in: | Constantin Heinold (KV Coburg), Antonia Beckmann (KV Nürnberg Stadt), Richard Gemba (KV Bayreuth), Maret Illig (Kv Nürnberg Stadt), Lukas Wölfert (KV Coburg), Laura Patzelt (KV Nürnberg Stadt), Marius Hofmann (KV Nürnberg Stadt), Maximilian Mayr (KV Erding) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 13.06.2025, 23:53 |
A-14: Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit - Initiative für eine ehrliche Nahostdebatte
Antragstext
Auch eineinhalb Jahre nach dem von der Hamas geführten brutalen und nicht zu rechtfertigenden auf israelische Zivilist:innen am 7. Oktober 2023 und
der daraf folgenden israelischen Invasion des Gazastreifens verschlechtert sich die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza von Tag zu Tag
weiter. Wir müssen feststellen, dass zunehmende Kritik an der Kriegsführung Israels aus seinen verbündeten Staaten, darunter auch Deutschland, nicht
zu einer Verbesserung der Lage geführt hat. Im Gegenteil: Es ist zu beobachten, wie die israelische Regierung mit den von ihr verübten Gewalttaten
immer offener umgeht. Nach eineinhalb Jahren Krieg haben wir und unsere Mutterpartei das Vertrauen großer Teile der jungen Generation und dabei
besonders das Vertrauen migrantisierter Menschen verloren. Ebenso zeigen sich Menschenrechts- und internationale Organisationen, die einst unsere
engsten Partner im Kampf gegen Ungerechtigkeit waren, von unserer aktuellen Haltung enttäuscht. Wir sehen, dass unsere verbandsinterne Debatte zu
diesem komplexen Thema in den letzten Jahren nicht mit der Geschwindigkeit den Entwicklungen vor Ort Schritt halten konnte. Um als Gesamtverband
wieder geschlossen sprechfähig und politisch wirksam sein zu können ist es dringend notwendig, den entstandenen Meinungsverschiedenheiten und
Wertekonflikten notendigen Raum zu geben. Der Bundesvorstand wird dazu aufgefordert, umgehend einen Debattenprozess zum israelisch-palästinensischen
Konflikt und den mit diesem zusammenhängenden Themenfeldern einzuleiten, welcher auf den Beschlüssen des ersten Länderrats 2025 aufbaut. Dieser soll
unter bestmöglicher Beteiligung der Basis den Raum für eben jene Debatte geben die bisherige Position der GRÜNEN JUGEND für den Zeitraum bis zum
Bundeskongress 2026 fortlaufend zu evaluieren, Geschlossenheit wieder zu ermöglichen und wo nötig umfangreiche Neupositionierungen auszuarbeiten,
deren Grundlage nicht die Loyalität zu einzelnen Staaten, sondern unser fester Glauben an Freiheit, Gleichheit, Recht und Gerechtigkeit ist. Die
Ernsthaftigkeit und permanente Verschlechterung der humanitären Lage in Gaza macheneine zügigen Beginn dieses Prozesses nötig, der schnell erste
Ergebnisse liefert. Deshalb sollten wir bereits bis zum Bundeskongress im Oktober 2025 eine grundlegende Sprechfähigkeit zu dem Themenkomplex
erwerben, um schon dort fähig zu sein unsere Positionen gegebenenfalls deraktuellen Lage anzupassen. Dabei muss der Krieg in Gaza zwingend im Kontext
des erweiterten Konflikts betrachtet werden. Eine umfassende neue Beschlusslage und Forderungen der GJ müssen neben der Betrachtung und Verurteilung
des brutalen Vorgehens der Hamas sowohl gegen die israelische als auch gegen die eigene Bevölkerung, auch eine Analyse des israelischen Vorgehens in
Gaza, einer Betrachtung der Lage im Westjordanland, der israelischen Siedlungspolitik, des Zustandes des israelischen Rechtsstaates, ökonomische
Faktoren, Sicherheit für die Bevölkerung und die Außenpolitik Israels und Palästinas mehr einbeziehen. Im Zentrum des Debattenprozesses müssen die
aktuelle Lage in Gaza sowie der Schutz der Zivilbevölkerung und die Achtung des Völkerrechts stehen. Bei der Betrachtung dieses Themenkomplexes soll
der Debattenprozess unter anderem folgende Konfliktpunkte behandeln: Als wie vertrauenswürdig können Stellungnahmen und veröffentlichte Informationen
der IDF und der israelischen Regierung, sowie der Hamas, bzw. der staatlichen Institutionen des Gazastreifens, sowie relevanter internationaler
Berichterstattung zum Kriegsgeschehen bewertet werden? Inwieweit halten die Kriegsparteien ihre Pflicht zur Achtung des Völkerrechts ein? Inwieweit
erfolgt eine angemessene Bestrafung von Kriegsverbrechen durch die Kriegsparteien und wie umfassend geschieht eine Aufarbeitung derselben? Ist davon
auszugehen, dass Festnahmen und Haftbedingungen durch die Kriegsparteien den Standards des internationalen- und Völkerrechts entsprechen oder muss
angenommen werden, dass eine Missachtung dieser Standards offizielle militärische Doktrin der jeweiligen Kriegspartei ist oder zumindest aktiv
geduldet wird? Verhindert die Privatisierung und de-facto Kontrolle der Verteilung humanitärer Hilfe durch Israel die ausreichende Versorgung der
Palästinenser:innen und falls ja, nimmt die israelische Seite dies bewusst in Kauf? Ist davon auszugehen, dass die Kriegsparteien Hunger als
Kriegswaffe einsetzen? Ermorden die Kriegsparteien bewusst Zivilist:innen oder nehmen deren Top zur Erreichung ihrer Kriegsziele bewusst in Kauf und
falls ja, stellen diese Handlungen offizielle militärische Doktrin dar? Inwieweit kann den Kriegsparteien nachgewiesen werden, menschliche
Schutzschilde zu nutzen und falls ja, inwieweit stellt diese Nutzung offizielle militärische Doktrin dar oder wird diese mindestens aktiv geduldet?
Inwieweit kann die Vertreibung von Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen als offizielles Kriegsziel der israelischen Regierung betrachtet werden?
Inwieweit können Merkmale eines Genozids und/oder des Verbrechens der "Extermination" durch die israelische Regierung an den Palästinenser:innen in
Gaza nachgewiesen werden? Inwieweit ist davon auszugehen, dass Deutschland sich durch die anhaltende Unterstützung Israels an potentiellen, von der
israelischen Regierung begangenen Kriegsverbrechen mitschuldig macht? Welche Verantwortung tragen wir und welche Rolle sollten wir daher einnehmen?
Auf welche Weise können wir als GRÜNE JUGEND zu humanitären Verbesserungen für die unter diesem Konflikt leidenden Menschen beitragen? In welchem
Rahmen unterstützen wir die Forderung unseres europäischen Dachverbandes FYEG zum sofortigen Abzug aller israelischen Truppen zurück auf
völkerrechtlich anerkanntes israelisches Staatsgebiet? Die Besatzung des Westjordanlandes und die daraus resultierende Situation für die dort lebenden
Menschen sind untrennbar mit der Lage in Gaza verbunden. Die Menschen in Gaza und dem Westjordanland verbinden nicht nur eine gemeinsame Identität,
sondern auch der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung in einem eigenen Staat. Diese Anstrengungen wurden vom Handeln der aktuellen und
vergangenen israelischen Regierungen behindert. Nur bei einer Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungen und der systemischen Gewalt beider
Seiten ist Frieden im Nahen Osten denkbar. Um unsere Positionen zu ihren Folgen, Ausprägungen, Rechtfertigungen und den von uns geforderten Maßnahmen,
um diese zu überwinden, zu aktualisieren soll der Debattenprozess unter anderem folgende Konfliktpunkte behandeln: Kann die Besatzung des
Westjordanlandes durch legitime Sicherheitsinteressen Israels gerechtfertigt werden? Inwieweit und auf welche Weise haben diese und vergangene
israelische Regierungen die Besatzung und den Siedlungsbau bewusst gefördert? Inwieweit kann die aktuelle Befestigung der Grenze zwischen dem
Westjordanland und Israel durch legitime Sicherheitsinteressen Israels gerechtfertigt werden Inwieweit nutzt die israelische Regierung diese
Grenzbefestigungen als Druck- und Sanktionsmittel gegenüber Palästinenser:innen? Ist davon auszugehen, dass Haftbedingungen und Festnahmen durch die
Kräfte der PLO und der israelischen Sicherheitsbehörden den Standards des internationalen- und Völkerrechts entsprechen bzw. inwieweit ist davon
auszugehen, dass eine Missachtung dieser Standards offizielle Doktrin der Akteure ist oder strukturell geduldet wird? Handelt es sich bei sogenannten
"Lockdowns" der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank um eine ungerechtfertigte, rassistische und illegale Kollektivbestrafung? Ist davon
auszugehen, dass Palästinenser:innen und Israelis in Besatzungsgebieten die gleichen Rechte zugestanden werden? Inwieweit findet ein duales
Justizsystem, das zu Diskriminierung und Ungleichheit zwischen Palästinenser*innen und Israelis führt Anwendung und falls ja, inwieweit ließe sich
diese Ungleichbehandlung durch legitime Sicherheitsinteressen Israels rechtfertigen? Inwieweit teilt der Verband die Einschätzung des Büros des
Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR), welches in den durch Israel besetzten Gebieten Merkmale des Rechtsbegriffs eines Apartheidsystems
verwirklicht sieht? Inwiefern würde eine israelische gesetzliche und juristische Legitimierung des nach internationalem Recht illegalen
Besatzungsregimes und des Siedlungsbaus im von Israel kontrollierten Gebiet, die Rechtsstaatlichkeit Israels in Frage stellen Spricht sich der Verband
für eine sofortige Auflösung aller nach internationalem Recht illegalen israelischen Siedlungen und für die Rückgabe des Landes an die vertriebenen
Palästinenser:innen, aus? Schließt sich die GRÜNE JUGEND der Forderung ihres Dachverbandes FYEG zur Anerkennung eines palästinensischen Staates der
Gaza, das Westjordanland und (Ost-)Jerusalem als seine Hauptstadt umfasst, an? Welche Bedingungen müssten hierfür erfüllt sein? Die größte ethnische
Minderheit im Staat Israel ist die palästinensisch-arabische. Auch die Situation dieser Gruppe und der (historische) Umgang israelischer Regierungen
mit den palästinensischstämmigen Bürger:innen Israels bedürfen im Kontext einer umfangreichen Analyse einer Debatte. Bei der Betrachtung dieses
Themenkomplexes soll der Debattenprozess unter anderem folgende Konfliktpunkte behandeln: Gibt es im Staat Israel selbst eine gesetzliche Bevorteilung
oder Privilegierung jüdischer Staatsbürger:innen bzw. eine gesetzliche Benachteiligung arabischer/palästinensischer Staatsbürger:innen? Inwiefern
leiden arabisch-/palästinensischstämmige Staatsbürger:innen in Israel unter strukturellem und gesellschaftlichem Rassismus? Herrscht in Israel ein
Assimilierungsdruck auf Palästinenser:innen, sich im besonderen Maße zum Staat Israel zu bekennen und in die israelische Kultur einzufügen, falls ja
ist dieser Druck ein gesellschaftlicher oder institutionalisierter? Handelt es sich beim Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser:innen
hauptsächlich um einen nationalen oder ethnischen Konflikt? Unterstützt der Verband das allgemeine sogenannte freiwillige "Recht auf Rückkehr" aller
seit Staatsgründung Israels vertriebenen Palästinenser:innen und ihrer Nachkommen? Die Art, wie Debatten über den israelisch-palästinensischen
Konflikt geführt werden, ist in Deutschland hoch umstritten. Das macht es notwendig, die deutsche Debatte selbst kritisch zu hinterfragen. Dafür
braucht es einen freien Debattenraum, klar begrenzt durch die roten Linien antisemitischer und muslimfeindlich-rassistischer Äußerungen und
Stereotype. Wo diese Linien verlaufen, muss im Verband debattiert werden. Es sollten unter anderem folgenden Konfliktpunkte behandelt werden: Wäre es
per se als rassistisch zu bewerten von Palästinenser:innen und Muslim:innen (oder als solche gelesene Personen) zu verlangen, sich aufgrund ihrer
vermuteten (oder realen) Zugehörigkeit zu diesen Gruppen von der Hamas oder von kriegerischen Handlungen der palästinensischen Seite zu distanzieren?
Macht von sogenanntem "importierten Antisemitismus" zu sprechen, für das reale Problem mit einem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland eine
diskriminierte Randgruppe verantwortlich und ist diese Formulierung damit als rassistisch zu bewerten? Sieht der Verband sogenannte "pro-
Palästinensische Demonstrationen" von besonderen Einschränkungen, disproportionalen Auflagen, besonders herausfordernden Genehmigungsverfahren und
übermäßigen Eingriffen durch die Polizei, betroffen und sieht er das als gerechtfertigt? Stimmt der Verband der Auffassung zu, dass unterschiedliche
Akteure Antisemitismusvorwürfe aktuell teilweise instrumentalisieren und so dem Kampf gegen Antisemitismus schaden können, wie das beispielsweise der
baden-würtembergischen Antisemitismusbeauftragte Blume geäußert hat? Als GRÜNE JUGEND ist es unser Anspruch solidarisch mit allen Betroffenen von
Rassismus, Antisemitismus, Gewalt, Terrorismus und Krieg zu stehen. Wir erkennen hierbei den Nahostkonflikt und die Lage in der Region Palästina als
vielschichtigen, komplizierten und über Generationen gewachsenen Konflikt an. Über Jahrzehnte der Abschottung, Gewalt und des Terrors wurden Fehler
begangen, die kaum mehr gut zu machen erscheinen. Die Terrororganisation Hamas verfolgt gemäß ihres Manifestes klar das Ziel einen Genozid an der
israelischen Bevölkerung und Jüd:innen auf der ganzen Welt zu begehen. Mit einer solchen Organisation kann es keinen Frieden in Sicherheit für alle
Beteiligten geben. Die Hamas repräsentiert nicht die Palästinenser*innen. Gleichzeitig erkennen wir an, dass die israelische Regierung und das
israelische Militär nicht frei von Schuld sind und ihrerseits zahlreiche Akte der Gewalt und Unterdrückung gegen Palästinenser:innen verübt haben. Wir
können diesen Konflikt sicherlich nicht lösen, sehen uns aber in der Verantwortung uns zu äußern. Deshalb brauchen wir eine neue Debatte, um unsere
Positionierungen entsprechend aktueller Entwicklungen anzupassen und unsere Kraft im Sinne der Zivilbevölkerungen zu nutzen. Vor allem wollen wir uns
aber den folgenden Fragen stellen: Wie kann unser Verband ein offener und sicherer Ort für jüdische Personen sein? Was können wir tun um ein solcher
Ort zu sein und gleichzeitig eine fortlaufende, ehrliche Debatte über Antisemitismus und unsere Haltung zum Nahostkonflikt zu ermöglichen Welche
Maßnahmen müssen in welchem Umfang gefordert werden, um auf die beteiligten Parteien Druck auszuüben und welche Institutionen oder Gruppen können
legitime Ziele dieser Maßnahmen sein?
Begründung
siehe oben.