Veranstaltung: | 56. Bundeskongress |
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Tagesordnungspunkt: | A antirassistische Strategien |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 56. Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 01.10.2022 |
Eingereicht: | 13.10.2022, 20:17 |
Antragshistorie: | Version 1 |
antirassistische Strategien für die GRÜNE JUGEND
Beschlusstext
Rassismus ist ein Teil unserer Gesellschaft. Während formale Büger*innenrechte
vielerorts längst erkämpft wurden und offener Rassismus in weiten Teilen der
Gesellschaft als tabuisiert gilt, sind rassistische Ausbeutung und Unterdrückung
genau wie institutionalisierter Rassismus und Alltagsrassismus traurige
Normalität. Ob im Umgang mit Geflüchteten an Außengrenzen, der alltäglichen
Bedrohung von als asiatisch angesehenen Menschen während der Corona-Pandemie
oder der schlechten Bezahlung von Arbeitskräften aus Osteuropa, Rassismus
strukturiert unser Zusammenleben und beeinflusst das Leben vieler Menschen.
Weil Rassismus, also die Unterteilung von Menschen aufgrund einer
zugeschriebenen Herkunft oder äußerlichen Merkmale, so systemisch ist, macht er
auch vor dem politischen Raum nicht halt.
Obwohl migrantisierte Menschen an verschiedenen Stellen im politischen Geschehen
immer mehr Repräsentation erfahren und auch historisch immer an politischen
Kämpfen beteiligt waren, ist Politik für sie immer noch ein ausschließender
Raum. Erfahrungen mit Diskriminierung, das vermittelte Gefühl, nie ganz dazu zu
gehören und die häufige Sozialisation in von Armut betroffenen
Lebensverhältnissen verhindert, dass migrantisierte Menschen sich poltisch
einbringen können.
Als GRÜNE JUGEND ist es unser Ziel, ein Verband der Vielen zu sein. Doch das
können wir nur sein, wenn wir eine Strategie dafür haben, wie wir migrantisierte
Menschen besser ansprechen, einbinden und fördern können.
Dabei darf es nicht nur darum gehen, migrantisierte Menschen von der GRÜNEN
JUGEND zu überzeugen, sondern vor allem darum, das zugänglich zu machen, was die
GRÜNE JUGEND ist: Ein Ort der politischen Beteiligung, des Aktivismus, des
gemeinsamen Lernens und der politischen Verbündeten. Dieser Prozess braucht
Zeit, weil er dort ansetzt, wo Menschen zur Grünen Jugend kommen und beginnen,
Verantwortung zu übernehmen. Die Strategie dabei baut auf den großen
qualitativen und quantitativen Evaluationen des Verbandes, Analysen und
erprobten Maßnahmen des Arbeitsbereichs antirassistische Strategien und dem
Bundesvorstand. Wir unterscheiden gezielt zwischen einer antirassistischen
Verbandsstrategie und Maßnahmen gegen Antisemitismus. Rassismus und
Antisemitismus sind grundlegend anders wirkende Diskriminierungsformen, die sich
auch jeweils anders im Leben und politischen Alltag von Menschen ausdrücken.
Dennoch sind viele der Maßnahmen, die wir im Zuge der antirassistischen
Verbandsstrategie ergreifen werden, auch zur Förderung von Jüdinnen und Juden
geeignet, da auch sie häufig von (antislawischem) Rassismus betroffen sind.
Davon unabhängig werden wir uns auch zukünftig mit den Wirkweisen von
Antisemitismus auf unseren Verband beschäftigen und Maßnahmen zur gezielten
Förderung von Jüdinnen und Juden erproben.
Ziele
Unser Ziel ist es, Angebote zu schaffen und Maßnahmen zu etablieren, die es
migrantisierten Menschen überall im Verband ermöglichen, in der GRÜNEN JUGEND
ihren Ort des politischen Engagements zu finden. Dabei wählen wir einen Ansatz,
der bereits dort beginnt, wo migrantisierte Menschen aktiv werden und
Verantwortung übernehmen wollen. Auf dem Weg zu einem offenen Verband der Vielen
gibt es keine Abkürzungen.
I Verantwortung tragen, konsequent und solidarisch
Schon jetzt findet Bildungsarbeit über Rassismus im Verband statt und es gibt
vereinzelte Vernetzungsangebote für migrantisierte Menschen. In vielen Fällen
wird diese wichtige Arbeit allerdings von migrantisierten Mitgliedern
eigenständig gestemmt. Obwohl sie eigentlich andere Interessen haben, fühlen
sich viele migrantisierte Menschen indirekt verantwortlich (gemacht) für
Aufgaben rund um die Bildung über Rassismus und Förderung von migrantisierten
Mitgliedern. Mit einem gut gemeinten Verweis auf fehlende eigene Betroffenheit
entziehen sich viele Menschen der Verantwortung, sich diesem Themenbereich in
ihrer politischen Arbeit ernsthaft zu widmen. Unser Ziel ist es, dass diese
wichtige Aufgabe von Vorständen übernommen wird und Teil der strategischen
Verbandsentwicklung ist. Die Verantwortung dafür kann nicht bei einzelnen
Betroffenen liegen, sondern muss als Querschnittsaufgabe des gesamten Vorstands
begriffen werden. Ihre Aufgabe ist auch die regelmäßige Evaluation der bisher
ergriffenen Maßnahmen. Dabei ist das Ziel, dass Vorstände einen Überblick über
die antirassistische Arbeit haben und die gemeinsamen Ziele mit realistischen
Projekten verfolgen.
Eine solidarische Verteilung der Verantwortung bedeutet auch, dass sich alle
Aktivist*innen in der GRÜNEN JUGEND für die antirassistische Verbandsöffnung
einsetzen. Deswegen wollen wir Wissensaustausch und -weitergabe zwischen allen
Ebenen herstellen und verstetigen.
II Offene Verbandskultur pflegen
Jede Organisation neigt dazu, soziale Codes zu entwickeln, die Menschen davon
abhalten, aktiv zu werden und dazu führen, dass schneller ein Gefühl des “Nicht
dazugehörens" entsteht. Eine offene Verbandskultur hingegen sorgt dafür, dass
sich alle Menschen wohlfühlen, unabhängig von ihrer politischen Vorerfahrung und
Sozialisation. In Ortsgruppen kommen Menschen das erste Mal mit der GRÜNEN
JUGEND in Verbindung und finden ihr politisches Zuhause. Sie wollen wir darin
fördern, offene soziale Räume im Verband zu schaffen.
Teilweise sind Menschen verunsichert, welche Sprache und welche Verhaltensweisen
in der GRÜNEN JUGEND “in Ordnung” sind. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass
neue Leute vieles, was für viele Aktive bereits selbstverständlich ist, wie die
Benutzung von genderinklusiver Sprache oder bestimmte Abkürzungen zu verwenden,
gar nicht wissen können. Viele Interessierte zum Mitmachen begeistern, können
wir aber nur, wenn wir ein Klima schaffen, in dem sich auch diese willkommen
fühlen. Diese Verunsicherung bauen wir ab, indem wir beispielsweise
diskriminierende Sprache nicht ignorieren, aber indem wir Interessierte und
Leute, die neu dazukommen, gezielt unterstützen, anstatt sie wegen ihrer
vermeintlich „falschen Sprache“ auszuschließen.
Nicht nur Vorstände, sondern alle Aktivist*innen in der GRÜNEN JUGEND tragen die
Verantwortung ein Bewusstsein für eine offene Verbandskultur zu entwickeln und
diese zu pflegen.
III Förderung und Bildungsarbeit unterscheiden
Die Grüne Jugend ist ein antirassistischer Verband. Das impliziert, dass es auch
unsere Aufgabe ist, migrantisierte Mitglieder aktiv anzusprechen und für
Verantwortungsübernahme im Verband vorzubereiten, um politische Räume weiter zu
öffnen. Hierbei ist eine Förderung migrantisierter Mitglieder das wichtigste
Element. Oft werden allerdings Förderangebote und Ansprache gleichgesetzt mit
der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Rassismus. Das führt zum einen dazu,
dass migrantisierte Menschen ungewollt zu Rassismusexpert*innen gemacht werden
und andererseits dazu, dass nicht-migrantisierte Menschen häufig wenig über
Rassismus wissen. Unsere Evaluation hat gezeigt, dass migrantisierte Mitglieder
mit einer Vielzahl an Themen in die Grüne Jugend kommen und sich auch gerne mit
diesen beschäftigen wollen. Gleichzeitig suchen sie oft nach Vernetzung und
Anschluss, ohne sich mit (Anti)rassismus beschäftigen zu müssen.
Unser Ziel ist es daher, stärker zwischen antirassistischer Bildungsarbeit und
Maßnahmen zur Förderung migrantisierter Mitglieder sowie Ansprache zu
unterscheiden. Der Zugang zu einer antirassistischen Gesellschaftsanalyse und
Bildungsinhalten muss all unseren Aktivist*innen zur Verfügung stehen, denn sie
geht uns alle an.
IV Fördermaßnahmen ausbauen
Für viele migrantisierte Menschen ist Politik ein Raum, zu dem die Tür für sie
verschlossen ist. Neben der offenen Verbandskultur ist dementsprechend auch die
Förderung von migrantisierten Menschen entscheidet. Diese Förderung sollte sich
nicht um die inhaltliche Bearbeitung des Themenfeldes Rassismus drehen, sondern
auf Verantwortungspositionen vorbereiten, Wertschätzung vermitteln und gezielt
empowern. Förderung findet dabei für uns nicht nur im Rahmen von spezifischen
Angeboten statt, sondern als Querschnittsaufgabe durch den gesamten Verband. Die
Verantwortung dafür liegt nicht nur bei migrantisierten Menschen, sondern bei
den Vorständen der jeweiligen Ebene. So verhindern wir, dass sich Betroffene als
“Token”, also als Repräsentant*in und Fürsprecher*in einer vermeintlich
homogenen Gruppe fühlen müssen.
V Themensetzung in den Blick nehmen
Neben der Ansprache innerhalb des Verbands, die dazu dient, Mitglieder in
Strukturen einzubinden, ist ebenso die Außenwirkung der Grünen Jugend
entscheidend dafür, ob Menschen zu uns kommen möchten. Wir sprechen Menschen an,
indem wir ihre Lebensrealität verstehen und uns mit den Themen beschäftigen, die
auch sie beschäftigen und politisieren. Das sind häufig Themen aus dem Bereich
Arbeit und Soziales. Unser Ziel ist es, mit unserer Themensetzung migrantisierte
Menschen besonders gut zu erreichen.
VI Banden bilden!
Wir wollen die Vernetzung von migrantisierten Mitgliedern auf allen
Verbandsebenen ausweiten, verstetigen und qualitativ verbessern, um diese zu
einem Raum der Bestärkung und Unterstützung zu machen. Migrantisierte Mitglieder
können so voneinander lernen, sich gegenseitig stärken und in Zukunft Vorbilder
für jüngere, migrantisierte Mitglieder sein, die sich in der Grünen Jugend
einbringen möchten.
Es gilt, Mitglieder dort abzuholen, wo sie ihren ersten Berührungspunkt in der
GRÜNEN JUGEND haben. Das ist zumeist vor Ort und im Landesverband.
Dementsprechend ist es die Aufgabe von gewählten Verantwortungsträger*innen, wie
zum Beispiel Vorständen, migrantisierte Mitglieder aktiv anzusprechen und
einzubeziehen und sie nach Möglichkeit auf die bestehenden Vernetzungsangebote
aufmerksam zu machen.
Konkrete Maßnahmen
Ebenenübergreifender Austausch etablieren und verstetigen, um voneinander
zu lernen und die Verbandsstrategie effektiv umzusetzen. Dies beinhaltet
Methodenschulungen und Leitfäden für Verantwortungsträger*innen.
Verschiedene Fördermaßnahmen für Zielgruppen erproben und evaluieren, wer
von welchem Angebot wie gut erreicht wird. Fördermaßnahmen sind hierbei
nicht zwingend nur an migrantisierte Mitglieder gerichtet. Vielmehr sollen
migrantisierte Mitglieder stärker in bestehenden Programme einbezogen
werden. Förderung geschieht am besten von unten - also an den ersten
Anknüpfungspunkten und Einbringungsorten.
Bei Veranstaltungen und Bildungsangeboten wird darauf geachtet, gerade für
Themen, die nichts mit Rassismus zu tun haben, migrantisierte
Referent*innen zu finden.
Evaluation, wie wir durch unsere Öffentlichkeitsarbeit migrantisierte
Menschen ansprechen und Erprobung verschiedener Maßnahmen zur verbesserten
Ansprache. Dabei werden wir insbesondere vor dem Hintergrund der
Ergebnisse der Evaluation unsere Themensetzung in den Blick nehmen.
Inhaltliche Weiterentwicklung eines niedrigschwelligen Bildungskonzepts
über Rassismus, das sich explizit auch an nicht migrantisierte Menschen
richtet.
Erprobung von Vernetzungstreffen in Regionen, in denen bisher noch nicht
viele migrantisierte Menschen aktiv sind und Ausbau persönlicher
regionaler Treffen.
Realistische Zielsetzung und Evaluation durch Vorstände. Diese dienen
dazu, Arbeit und Erfolge nachvollziehen zu können und Handlungen durch
Zielsetzung zu priorisieren.
Gezielte Ansprache und Förderung sicherstellen durch inhaltliche
Themensetzung bei Bildungsveranstaltungen
Nutzung der Ergebnisse der Evaluation zur Erarbeitung eines Konzepts zur
Ansprache und Förderung von migrantisierten Menschen auf Ortsebene