Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | V – Verschiedene Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 03.11.2019 |
Eingereicht: | 03.11.2019, 15:06 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Rechtsruck stoppen – Zivilgesellschaft stärken!
Beschlusstext
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist in
Deutschland an vielen Stellen für die Finanzierung von zivilgesellschaftlichen
Organisationen zuständig. Organisationen, die unschätzbar wichtige Arbeit für
die Gesellschaft leisten, aber nicht allein überleben können, werden hier
gefördert.
Vor kurzem haben das BMFSFJ und das Finanzministerium nun entschieden, in der
kommenden Förderperiode die Mittel zu kürzen, die Förderstruktur zu verändern
und insgesamt deutlich weniger Organisationen zu unterstützen. Damit ziehen die
Ministerien vielen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen den Boden unter den
Füßen weg – ein offener Schlag ins Gesicht von Exit, Amadeu Antonio Stiftung und
vielen Weiteren. Angesichts des massiven Rechtsrucks ist das auch eine
unverantwortliche Sabotage von und Ignoranz gegenüber allen, die sich aktiv
gegen Nazis einsetzen, und Personen, die von rechter Gewalt betroffen sind.
Organisationen, die seit Jahren Nazis den Ausstieg aus der Szene ermöglichen.
Organisationen, die präventiv mit vielen Jugendlichen arbeiten, um ihnen das
Erkennen von nationalistischen und rassistischen Argumentationen zu ermöglichen
sowie das Abrutschen in Nazi-Strukturen zu verhindern. Organisationen, die
messerscharfe wissenschaftliche Analysen zur Entwicklung von Nationalismus,
Rassismus und Antisemitismus in Deutschland erstellen. Kurzum – Der Staat hat
bisher diese zentralen Aufgaben, vor allem über das „Demokratie leben“-Projekt,
an zivilgesellschaftliche Organisationen ausgelagert und weigert sich nun, die
Erfüllung dieser übernommenen Aufgaben angemessen zu finanzieren.
Die ersten Folgen davon sind bereits sichtbar. So berichtet die
Aussteiger*innen-Hilfe Exit, dass sie die bereits betreuten Personen noch
„abwickeln“ könne, diese durch das abrupte Ende der Förderung aber völlig allein
gelassen werden und dadurch in Gefahr geraten.
Zwar hat das BMFSFJ nach einem heftigen Aufschrei jetzt vorerst zugesagt, die
betroffenen Organisationen zumindest im nächsten Jahr weiter zu finanzieren. Was
danach kommt, ist allerdings völlig unklar. Deswegen bedarf es jetzt einer
grundlegenden strategischen Neuausrichtung, anstatt die alten Fehler zu
wiederholen. Denn das Festhalten des BMFSFJ an der neuen Förderstruktur ist
wesentlich daran Schuld, dass viele Organisationen leer ausgehen sollten. Die
Beschränkung auf 100 Modellprojekte und 14 Kompetenzzentren hat zu einem Rückzug
aus der Fläche geführt. Es wurden unnötig Mittel verschwendet, dadurch, dass
zivilgesellschaftliche Organisationen miteinander konkurrieren mussten. Außerdem
hat die Modellprojekt-Struktur dazu geführt, dass sich erfolgreiche Projekte in
der aktuellen Form nicht einfach wieder bewerben konnten, sondern neue und
andere Wege gehen mussten, um weiterhin förderfähig zu sein – völlig absurd bei
gut funktionierenden Projekten. Ebenso kritiseren wir die völlig willkürliche
Vermischung von Prävention und Deradikalisierung scharf. Von vormals in der
präventiven Jugendarbeit tätigen Organisationen zu verlangen, nun auf einmal mit
Aussteiger*innen zu arbeiten, die Jahrzehnte in der Nazi-Szene aktiv waren,
gefährdet die Prävention massiv und reißt jahrelange Aufbauarbeit ein.
Deshalb fordern wir:
- Das BMFSFJ muss jetzt sofort gegensteuern, bevor es zu spät ist. Eine
umfassende Aufstockung der Mittel ist dringend erforderlich. Im zweiten
Schritt bedarf es einer problemorientierten Verteilung dieser Mittel.
Projekte, die direkt mit Aussteiger*innen arbeiten, sind hier an die erste
Stelle zu setzen.
- Erfolgreiche Projekte, entweder der Deradikalisierung oder der
Präventionsarbeit, dürfen durch ein Fördermodell nicht gezwungen werden,
an den fundamentalen Stützen ihres eigenen Erfolges zu sägen, indem sie
sich für die erneute Beantragung von Fördermitteln unnötig neue Konzepte
ausarbeiten müssen.
- Alle Bundestagsabgeordneten müssen sich dringend für eine Aufstockung und
Neuverteilung der Mittel einsetzen. Sollte die Verteilung der „Demokratie
leben“-Mittel entgegen der Ankündigung des Ministeriums entlang des
ursprünglichen Vorschlags bestehen bleiben, fordern wir die
Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen dazu auf, auch aufgrund
dieses Punktes gegen den Bundeshaushalt 2020 zu stimmen.
- Die Bundesländer müssen, sollte die Finanzierung durch den Bundeshaushalt
nicht sichergestellt werden, die Finanzierungslücken durch ihre
Landeshaushalte auffangen, um so zumindest die schwerwiegendsten Folgen
etwas abzuschwächen.
- Sowohl für Deradikalisierungsarbeit als auch für Präventionsarbeit müssen
genügend Gelder zur Verfügung gestellt werden. Diese Bereiche dürfen nicht
miteinander vermischt, vor allem aber nicht gegeneinander ausgespielt
werden.
Im kommenden Jahr werden wir deshalb auch nach Bündnispartner*innen suchen, um
gemeinsam für die Verankerung einer dauerhaft auskömmlichen Finanzierung zu
streiten.
Begründung
erfolgt mündlich.