Veranstaltung: | 53. Bundeskongress der Grünen Jugend |
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Tagesordnungspunkt: | L – Landwirtschaft und Ökologie |
Antragsteller*in: | Landesvorstand Niedersachsen, Landesvorstand Sachsen-Anhalt, Hauke Köhn, Mona Noé, Johannes Kopton, Franziska Gehlmann, Christian Kaiser (dort beschlossen am: 10.10.2019) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | AbstimmungErklärung: gegen den Gentechnik-Abschnitt von L-2 |
Eingereicht: | 10.10.2019, 23:49 |
L-1: Grüne Gentechnik grün denken - Keine Patente auf Lebewesen!
Antragstext
Mit diesem Antrag fordern wir, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Einsatz
von Gentechnik in der Pflanzenzüchtung (Grüne Gentechnik) ernst zu nehmen.
Gentechnisch veränderte Pflanzen sind nicht gefährlicher als herkömmliche
Pflanzen und können einige Probleme lösen. Wir sollten deshalb ihren Anbau nicht
verhindern oder auf andere Teile der Welt auslagern, sondern klare
Rahmenbedingungen einfordern. Insbesondere stellen wir uns gegen jegliche
Patentierung von biologischem Material.
1. Einführung
Die Herstellung von Saatgut mittels gentechnischer Methoden, sog. grüne
Gentechnik, ist seit ihrer Einführung in den Neunziger Jahren hoch umstritten.
Grüne und ökologische Bewegungen auf der ganzen Welt lehnten und teilweise
lehnen den Einsatz grüner Gentechnik mit dem Verweis auf Risiken und
Monopolisierung des Saatguts kategorisch ab, während führende
Wissenschaftler*innen und die Industrie eine Möglichkeit sehen, einen Beitrag
für eine nachhaltigere Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu leisten. Aus
damaliger Sicht war es im Sinne des Vorsorgeprinzips richtig, der Einführung
skeptisch gegenüber zu stehen, da keine belastbaren Langzeitstudien Risiken
abschätzen ließen. Außerdem beteiligten sich an dieser neuen Entwicklung vor
allem große Saatgutkonzerne, die die noch recht aufwendigen Verfahren
realisieren konnten.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich allerdings einiges verändert. Zum einen
sind zahlreiche Studien und Untersuchungen veröffentlicht worden, die zum
Schluss kommen, dass der Konsum genetisch veränderter Organismen (Abk.: GVO)
nicht gefährlich ist [1] und dass der Einsatz von GVO durchaus nachhaltige,
positive Effekte insbesondere in Ländern des globalen Südens mit sich bringen
kann. [2] Zum anderen sind die Verfahren effizienter und günstiger geworden,
sodass die Entwicklung von GVO nicht mehr nur bei Monsanto und Co. stattfinden
muss.
Hinzu kommt, dass junge Menschen alte Argumentationsmuster kritisch hinterfragen
und eine wissenschaftsbasierte Politik fordern. Das tragen bei Fridays for
Future Millionen junger Menschen laut auf die Straße. Wir hängen nicht am
Natürlichkeitsbild der 70er Jahre fest, sondern wünschen einen aufgeklärten,
wissenschaftsbasierten Diskurs, der dazu dient Lösungen für die komplexen
Fragestellungen und immensen Probleme unseres globalen Ökosystems zu finden. Das
gilt bei der Diskussion des Klimawandels, genauso wie bei neuen Formen der
Mobilität und eben der Gentechnik. Wissenschaft darf nicht nur dort
ernstgenommen werden, wo sie sich unkritisch in unsere Beschlusslage fügt.
Unsere Generation wird dabei neue, vielleicht auch unkonventionelle Wege gehen
müssen, dabei helfen weder pauschale Ablehnung noch naive Technikgläubigkeit
weiter, denn die Zeit ist begrenzt und es kann nur eins im Vordergrund stehen:
Der beste Weg in eine nachhaltige Form des Wirtschaftens und gesellschaftlichen
Lebens. Hierzu braucht es keine alten Dogmen, sondern Strukturwandel, technische
Innovation und die gemeinsame Anstrengung von Millionen Menschen weltweit.
Aus diesem Grund weisen wir auch die Verunglimpfungen von gentechnik-offenen
Politiker*innen und Wissenschaftler*innen zurück und fordern einen offenen
Diskurs auf Augenhöhe über die Möglichkeiten von neuen Technologien in einer
jung-grünen Vision der Zukunft.
Im Folgenden möchten wir den Stand der wissenschaftlichen Untersuchungen
erörtern und daraus Forderungen ableiten.
2. Wissenschaftliche Grundlagen
Menschen haben durch Züchtungen das Genom bereits seit Jahrtausenden in
radikaler Form verändert. Viele der heutigen Kulturpflanzen (Äpfel, Erdbeeren,
Mais, Bananen etc.) haben kaum noch Wiedererkennungswert mit ihren wilden
Urahnen. Viele Pflanzenwissenschaftler*innen halten daher die strikte
Unterscheidung in der Gesetzgebung zwischen Gentechnik und klassischen
Züchtungsmethoden für willkürlich, da beide das gleiche Resultat erzielen, wenn
auch mit unterschiedlichen Methoden. Die häufig genannten Risiken wie Off-
Target-Effekte und Nicht-Rückholbarkeit treffen prinzipiell genauso auf Arten
aus konventioneller Züchtung zu. Da konventionelle Züchtungsmethoden viel
weniger Auflagen unterliegen ist hier insbesondere der Vergleich zwischen
Gentechnik und herkömmlicher Züchtung sinnvoll. Dennoch musste natürlich
untersucht werden ob nicht unterschiedliche Verfahren zu unterschiedlichen
Risikobewertungen führen.
2.1 Gesundheitliche Aspekte
Von verschiedenen Seiten gibt es Bedenken, was die gesundheitlichen Folgen des
Verzehrs gentechnisch veränderter Pflanzen betrifft. Als möglich Risiken wurden
u. a. veränderter Nährstoffgehalt, verminderte Fruchtbarkeit sowie das Auftreten
unbekannter Toxine und Allergene angeführt.
Nach der Markteinführung von GVO in den USA konnten dort keinerlei Zusammenhänge
zur Häufigkeit von verschiedensten Krebsarten, Adipositas oder dem Auftreten von
Lebensmittelallergien festgestellt werden. [3, S. 207 ff]. In Fütterungsstudien
werden Gruppen von Tieren verglichen, von denen die eine mit gv-Pflanzen
gefüttert wird. Bei verschiedensten Tierarten über Zeiträume bis zu 2 Jahre
wurde keinerlei Einfluss auf Stoffwechselparameter gefunden oder die gemessenen
Unterschiede waren so gering, dass sie innerhalb des biologischen
Schwankungsbereich lagen und somit keinerlei toxikologische Relevanz besaßen.
[4] Auch Immunreaktionen und mögliche Allergien konnten im Vergleich mit
konventionellen Futtermitteln nicht vermerkt werden. [5]
Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass GVO nicht gesundheitsgefährdender sind
als Produkte aus herkömmlicher Züchtung. [1] [3] [4] Darüberhinaus kommen auch
die Weltgesundheitsorganisation sowie ein Bericht der europäischen Kommission
zum Schluss, dass GVO kein außergewöhnliches gesundheitliches Risiko darstellen.
[6] [7] Nach wie vor werden Studien angeführt, die diesen Konsens widerlegen
sollen. Allerdings finden sich in vielen Fällen in diesen Studien gravierende
methodische Fehler und im Allgemeinen werden sie in weniger bedeutenden
Journalen veröffentlicht. [8]
Tatsächlich ist sogar davon auszugehen, dass GVO unter Umständen den Einsatz von
Pestiziden verringern könnten (s. unten) und damit sogar gesundheitsfördernde
Effekte auftreten. Gerade in Ländern des globalen Südens werden
Pflanzenschutzmittel häufig mit unzureichenden oder gar keinen
Schutzvorkehrungen verteilt. Gelingt es hier, den Pestizideinsatz durch GVO zu
verringern, könnte dies ein großer Fortschritt für die betroffenen
Landwirt*innen sein. Entsprechend negative Folgen hätte eine Erhöhung des
Pestizideinsatzes durch GVO.
2.2 Ökologische Aspekte
Neben gesundheitlichen Bedenken, wurde und wird stets auf die ökologischen
Risiken des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen hingewiesen. Die
Hauptkritikpunkte dabei sind u. a. ein gesteigerter Verbrauch von
Pflanzenschutzmitteln, der Einfluss auf den Insektenbestand und der sogenannte
Gen-Flow.
Tatsächlich gibt es Fälle gentechnisch veränderter Pflanzen (Abk.: gv-Pflanzen),
die speziell dazu erstellt wurden, resistent gegen bestimmte
Pflanzenschutzmittel zu sein. Bekanntestes Beispiel sind wohl glyphosat-
resistenter Mais und Soja, die vor allem in den USA angebaut werden. Hier lässt
sich durchaus ein Zusammenhang zwischen dem Anbau der genetisch veränderten
Sorten und einem höheren Verbrauch von Glyphosat herstellen. Allerdings gibt es
auch Gegenbeispiele, etwa bei dem Auberginenanbau in Bangladesh. Die dortigen
Auberginen drohten trotz massivem Insektizideinsatz durch eine bestimmte
Mottenart zerstört zu werden. Gezielt gentechnisch veränderte Auberginen wurden
kaum von den Motten befallen, obwohl sie nicht mit Insektiziden behandelt
wurden. [9] Generell besitzen GVO durchaus das Potential den Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, einige Analysen sprechen von einer
durchschnittlichen Reduktion um 37%. [2]
Eine Fragestellung im Zusammenhang mit der Insektenabwehr lautet, ob auch andere
Insekten wie Bienen, Schmetterlinge, die nicht bekämpft werden sollen durch GVO
betroffen wären und so eine Belastung für das Ökosystem entsteht. Am Beispiel
des umstrittenen Bt-Mais wurden hier zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Im
Labor kann es tatsächlich vorkommen, dass auch andere Insekten durch das Bt-
Protein geschädigt wurden, allerdings nur bei völlig unnatürlichen
Konzentrationen. In Feldstudien unter realistischen Anbaubedingungen konnte
keine unbeabsichtige Schädigung von Arten festgestellt werden, die nicht
bekämpft werden sollten. [10] [11, vgl. S. 20 ff.] Das zeigt, dass Nicht-Ziel-
Organismen nicht automatisch geschädigt werden.
Werden gv-Pflanzen auf einem offenen Feld gepflanzt, können sie ihre Gene weiter
an die Umwelt verteilen und sich mit anderen (wilden) Artverwandten auskreuzen.
Dies geschieht nicht nur bei GVO, sondern bei nahezu allen Pflanzen und ist ein
natürlicher Vorgang. Die Sorge besteht darin, dass durch diese Auskreuzung
bestimmte Arten zurückgedrängt werden und die Biodiversität abnimmt. Auch wenn
es dafür nur wenige Anhaltspunkte gibt, braucht es also neue Untersuchungen und
Anbaumonitoring. [12] Es konnte gezeigt werden, dass diese
Auskreuzungswahrscheinlichkeit mit zunehmenden Abstand jedoch stark abnimmt,
abhängig von der konkreten Pflanzenart. Man kann z. B. auch Felder mit gv-
Pflanzen durch andere Pflanzen "abschirmen". [13] Falls nötig, sind
Sicherheitsabstände also ein praktikable Lösung um Auskreuzung zu verhindern. Es
sei angemerkt, dass bei neuen Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung prinzipiell
das gleiche Problem besteht und Monokulturen egal welcher Pflanze der
Biodiversität schaden.
Auch andere ökologische Risiken werden immer wieder benannt. Es besteht jedoch
auch hier Konsens, dass GVO nicht grundsätzlich schädlicher für die Umwelt als
Produkte aus herkömmlicher Züchtung sind. [2] [3] [7]
2.3 Wirtschaftliche und soziale Aspekte
Mit Gentechnik werden außerdem eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Risiken
in Verbindung gebracht. Zum einen können gentechnische Methoden und auch
gentechnisch veränderte Organismen in Europa durch Patente geschützt werden (im
Gegensatz zu "im wesentlichen biologischen Verfahren" und ihren Produkten) [14].
Das kann eine starke Konzentration des Saatgutmarktes und einen effektiven
Ausschluss vieler Züchter*innen führen. Außerdem könnten die Lizenzgebühren
teurer sein, als bei dem ansonsten in Deutschland angewendeten Sortenschutz und
Landwirt*innen würde das Recht, Saatgut selbst weiter zu vermehren, genommen
werden.
Aufgrund inkonsequenter Rechtsauslegung durch das europäische Patentamt werden
aber gelegentlich auch Patente auf klassisch gezüchtete Pflanzen angemeldet. Mit
der Ablehnung bestimmter Technologien werden wir das Problem nicht lösen. Das
wäre weder möglich, noch sinnvoll. Wir müssen uns stattdessen klar gegen jede
Patentierung auf biologisches Material stellen, egal auf welche Weise es
entdeckt oder entwickelt wurde.
Eine andere Sorge ist, dass GVOs nur dazu dienen würden, bestimmte
Pflanzenschutzmittel besser zu verkaufen. "Paketlösungen" aus patentiertem,
herbizidresistenten Saatgut und den dazu passenden Herbiziden führen tatsächlich
zu starker Marktkonzentration, einseitigen Abhängigkeiten und Formen von
Landwirtschaft, die alles andere als nachhaltig sind. Auch hier sollten wir uns
aber eine differenziertere Position erlauben. Herbizidresistenzen können auch
durch klassiche Züchtung erreicht werden. Nicht die Züchtungstechnik, sondern
die Anwendungsfelder und vor allem die Schutzrechte am geistigen Eigentum sind
für die ökonomischen Auswirkungen entscheidend.
Durch die teuren und zeitaufwändigen Zulassungsverfahren für GVOs haben sich
besonders hier nur diejenigen Anwendungen etablieren können, die die
Entwicklungs- und Zulassungskosten sicher wieder einbringen. Das funktioniert am
besten in der industriellen Landwirtschaft und geschieht über Lizenzgebühren und
Verkäufe von passenden Pflanzenschutzmitteln. Auch können nur die größten
Konzerne sich diesen Aufwand leisten. Lokale Sorten mit Vorteilen für die
Agrarökosysteme und Ernährungssouveränität, insbesondere von Kleinbäuer*innen,
sind meistens ökonomisch nicht interessant genug.
Um vor allem diese Vorteile zu nutzen, sollten (neben dem Verbot von Patenten
auf Lebewesen) lokale Hochschulen und Forschungsinstitute Sorten mit
entsprechenden Eigenschaften in unabhängiger Züchtungsforschung entwickeln
dürfen. Die Zulassungsverfahren müssen sich an den tatsächlich plausiblen
Risiken orientieren und kleinere Unternehmen und öffentliche Institute nicht
finanziell ausschließen.
3. Gentechnik als Chance zur Lösung
landwirtschaftlicher Herausforderungen
Die Transformation zu einer nachhaltigen Landnutzung ist gerade angesichts der
Klimakatastrophe eine der drängendsten gesellschaftlichen Aufgaben. Durch
Klimafolgen oder ausbeuterische Nutzung, gehen kontinuierlich Nutzflächen
verloren. Eine weitere Kultivierung natürlicher Ökosysteme, etwa Rodung von
Urwäldern, kann keine Lösung sein. Gleichzeitig muss die Ernährungssicherheit
und Ernährungssouveränität einer wachsenden Weltbevölkerung mit steigendem
Lebensstandard dauerhaft gewährleistet werden. Wenn wir nicht von einer
kurzfristigen, drastischen und weltweiten Reduktion des Konsums tierischer
Produkte ausgehen, bedeutet das, dass auf weniger Fläche nachhaltiger und
gleichzeitig mehr produziert werden muss.
Laut dem IPCC-Sonderbericht “Landnutzung und Klimawandel” sind für die
sogenannte nachhaltige Intensivierung vielfältige Maßnahmen notwendig [15]. Eine
Rückkehr zu einer naturnahen, vorindustriellen Landwirtschaft wird dafür nicht
ausreichen. Einer der vom IPCC ausführlich behandelten Bausteine für eine
zukunftsfähige Landwirtschaft ist die grüne Gentechnik [15]. Sie bietet die
Möglichkeit, stabile, hohe Erträge zu erzielen, und gleichzeitig potenziell
umweltschädliche Inputs wie Dünge- oder Pflanzenschutzmittel zu reduzieren [2].
Zum Beispiel können Sorten, deren Wurzelwachstum gezielt verändert wurde,
Phosphate besser aufnehmen und dadruch sowohl den Bedarf an fossilem
Phosphordünger als auch umweltschädlichen Nährstoffaustrag reduzieren.
Gentechnisch eingebrachte Krankheitsresistenzen (etwa nach dem Vorbild
verwandter Wilpflanzen) machen eine Bekämpfung der betreffenden
Pflanzenkrankheiten durch Pestizide überflüssig. Das ist gut für die
Biodiversität und auch für die Einkommen und Arbeitssicherheit der
Landwirt*innen [2]. Einige dieser Vorteile ließen sich unter Umständen in
aufwändigen und langwierigen Verfahren auch durch klassiche Züchtung
realisieren. Das dauert aber jeweils mindestens 20-30 Jahre. Vor welchen
agrarökologischen Herausforderungen werden wir 2050 stehen? Gerade angesichts
der sich rasant beschleunigenden Klimakatastrophe könnten schnellere
Züchtungsmethoden immens wichtig werden. Besonders klimarelevante Eigenschaften
wie Trockenheits- oder Salzresistenzen sind alleine mit gentechnischen Verfahren
vermutlich schwierig zu erreichen, aber auch dabei wäre es unter Umständen
fatal, diese Methoden aus dem Werkzeugkasten der Züchter*innen auszuschließen.
Wirtschaftliche Chancen entstehen vor allem dann, wenn gv-Saatgut nicht mit
Patenten und hohen Lizenzgebühren belegt ist. Das wird insbesondere durch
öffentliche und öffentlich geförderte Forschung ermöglicht. Sowohl Dünge- und
Pflanzenschutzmittel auf der einen, als auch Ernteausfälle auf der anderen Seite
können gerade für kleinbäuerliche Landwirt*innen eine große finanzielle
Belastung darstellen. Lizenzfreies, leistungsfähiges gv-Saatgut hat die
wirtschaftliche Situation z. B. von Kleinbäuer*innen in Indien und Bangladesh
schon in der Vergangenheit nachweislich verbessert.
Die Deutungshoheit über die Anwendungen und Eigentumsrechte an gentechnisch
veränderten Pflanzensorten sollten wir nicht durch eine unhinterfragte,
pauschale Ablehnung den Agrarchemie-Konzernen überlassen.
4. Forderungen
Auf der Grundlage der oben erläuterten Sachverhalte stellen wir folgende
Forderungen auf:
Die Grüne Jugend lehnt den Einsatz von Gentechnik in der Pflanzenzüchtung
nicht pauschal ab und erkennt ihren potentiellen Nutzen an. Wir sehen
Gentechnik als ein Werkzeug an, mit dem unterschiedliche Ziele verfolgt
werden können. Daher muss eine politische Regulierung erfolgen. Wir wollen
in dieser Debatte unsere eigenen Positionen und die der Altgrünen kritisch
hinterfragen und auf wissenschaftlicher Basis politisch argumentieren.
Gentechnik ist kein Allheilmittel. Auch wenn durch neue Methoden neue
Möglichkeiten entstehen, bleibt es dabei: Es braucht eine Agrarwende,
weniger Konsum tierischer Produkte, Maßnahmen zur Vermeidung von
Lebensmittelabfällen usw. damit wir die planetaren Grenzen nicht
überschreiten. Die größte Ursache von Hunger ist die global ungleiche
Verteilung von Reichtum und Nahrungsmitteln. Das kann mit keiner
Züchtungstechnik gelöst werden. Gentechnik kann für uns nur ein
Lösungsbaustein sein, aber niemals die notwendigen systematischen
Veränderungen ersetzen.
Das Züchtungsverfahren mit dem eine Pflanze gezüchtet worden ist, muss für
Verbraucher*innen weiterhin nachvollziehbar sein. Wir fordern daher eine
Kennzeichnungspflicht sowohl für gentechnische Methoden, als auch für alle
anderen Züchtungsverfahren. Vom Saatgut bis zum Endprodukt müssen alle
Schritte transparent und nachvollziehbar sein. Das gilt auch für Importe.
Die verpflichtende Kennzeichnung macht irreführende Marketing-Label der
Lebensmittelindustrie (wie "Ohne Gentechnik" vom Verband Lebensmittel ohne
Gentechnik) überflüssig.
Patente auf Pflanzen und Tiere lehnen wir grundsätzlich ab. Durch die
bisherige Fundamentalopposition gegenüber GVOs ist dieser Punkt häufig in
den Hintergrund gerückt. Gentechnische Methoden sind mittlerweile einfach
einzusetzen und kostengünstig. Der normale Sortenschutz würde hier wie bei
klassischen Züchtungen völlig ausreichen. Das würde auch das übersteigerte
Interesse großer Konzerne an GVOs beenden, die sich aktuell aus diesem
Grund von patentiertem Saatgut hohe Profite erhoffen.
Alle neuen Saatgutsorten sollen ein produktorientiertes
Zulassungsverfahren durchlaufen, das unabhängig von der
Herrstellungsmethode die Sicherheit im voraus gewährleistet. Das
Vorsorgeprinzip ist zu beachten. Es sollen Post-Market-Monitorings
(Kontrolluntersuchungen nach der Markteinführung) etabliert werden.
Der Einsatz von Gentechnik, wie auch allen anderen Züchtungstechniken muss
mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar sein. Anwendungen wie
Glyphosatresistenzen und nichtbräunende Äpfel in Plastik lehnen wir ab.
Ziel muss es sein, den Flächenverbrauch und den Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln zu verringern.
Gentechnik soll nicht die Aufgabe der großen Konzerne sein. Wir sprechen
uns für die Förderung öffentlicher Saatgutforschung aus. Diese soll das
von ihr erzeugt Saatgut als Open-Source-Saatgut allen Menschen auf der
ganzen Welt kostenlos zur Verfügung stellen. Die Food and Agriculture
Organisation (Abk.: FAO) der Vereinten Nationen erhält ein Vorkaufsrecht
und kann bei Bedarf wichtige Sorten von globalen Saatgutkonzernen
"freikaufen".
5. Schlussfolgerung
Technologie ist für uns kein Gegensatz zu nachhaltiger Politik. Nur wenn wir
technologische Innovation, systemische Ansätze und strukturellen Wandel zugleich
anstreben, werden wir die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts lösen können.
Dementsprechend kann auch Gentechnik ein Baustein auf dem Weg in eine
ökologischere Zukunft sein, wenn wir uns trauen, den Diskurs über ihre
Möglichkeiten zu führen. Gentechnik ist wie jede Technologie, vor allem ein
Werkzeug. Die Gesellschaft und insbesondere die Politik haben die Macht, ihre
Zielsetzung zu bestimmen. In der aktuellen Debatte fehlt dringend eine linke,
grüne Perspektive auf die Möglichkeiten, die diese neuen Techniken bieten. Nur
wenn wir uns dieser Gestaltungskraft bewusst werden, entreißen wir den
Agrarkonzernen die Deutungshoheit über diese Technologie. Statt passiver
Beobachtung üben wir aktiv Einfluss aus. Gentechnik wird nicht alleine den
Welthunger oder den Klimawandel aufhalten, sie ist ein Mittel dort wo die
konventionelle Züchtung nicht weiterkommt oder zu langsam ist und nur eine
Option von vielen. Doch wir beachten die Erkenntnisse der Wissenschaftler*innen
weltweit und fordern einen verantwortungsvollen Einsatz dieser Technologie in
Respekt vor unseren planetaren Lebensgrundlagen, unseren Mitmenschen und
künftigen Generationen.
Quellen
[1] A. Nicolia, A. Manzo, F. Veronesi, D. Rosellini: An overview of the last 10
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[2] W. Klümper, M. Qaim: A Meta-Analysis of the Impacts of Genetically Modified
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https://doi.org/10.1371/journal.pone.0111629 (abgerufen am 19.09.2019)
[3] Committee on Genetically Engineered Crops, Board on Agriculture and Natural
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https://www.nap.edu/read/23395/ (abgerufen am 19.09.2019)
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https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0278691511006399 (abgerufen
19.09.2019)
[5] B. Santis et al.: Case studies on genetically modified organisms (GMOs):
Potential risk scenarios and associated health indicators; Food an Chemical
Toxiycology, eingereicht 17.03.2017, angenommen 22.08.2017 (abgerufen am
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20.09.2019)
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/publication/d1be9ff9-f3fa-4f3c-86a5-beb0882e0e65 (abgerufen am 20.09.2019)
[8] M. Sánchez, W. Parrott: Characterization of scientific studies usually cited
as evidence of adverse effects of GM food/feed; Plant Biotechnology Journal,
veröffentlicht 15.07.2017,
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/pbi.12798 (abgerufen am
20.09.2019)
[9] M. Prodhan et al.: Bt eggplant (Solanum melongena L.) in Bangladesh: Fruit
production and control of eggplant fruit and shoot borer (Leucinodes orbonalis
Guenee), effects on non-target arthropods and economic returns; PlosOne,
eingereicht 08.05.2018, angenommen 01.10.2018,
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0205713 (abgerufen am 21.09.2019)
[10] C. Comas et al.: No effects of Bacillus thuringiensis maize on nontarget
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Transgenic Research, eingreicht 28.02.2013, angenommen 23.07.2013,
https://doi.org/10.1007/s11248-013-9737-0 (abgerufen 21.09.2019)
[11] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat 617-Bioökonomie: 25
Jahre BMBF-Forschungsprogramme zur biologischen Sicherheitsforschung -
Umweltwirkung gentechnisch veränderter Pflanzen; Dezember 2014
[12] H. Landry: Challenging Evolution: How GMOs Can Influence Genetic Diversity;
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http://sitn.hms.harvard.edu/flash/2015/challenging-evolution-how-gmos-can-
influence-genetic-diversity/ (abgerufen 22.09.2019)
[13] A. Goggi et al.: Statistical analysis of outcrossing between adjacent maize
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22.09.2019)
[14] Europäische Patentrichtlinie Art. 53 b), https://www.epo.org/law-
practice/legal-texts/html/epc/2016/d/ar53.html (abgerufen am 04.10.2019)
[15] Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): Klimawandel und
Landsysteme: Ein IPCC-Sonderbericht über Klimawandel, Desertifikation,
Landdegradierung, nachhaltiges Landmanagement, Ernährungssicherheit und
Treibhausgasflüsse in terrestrischen Ökosystemen. Veröffentlicht am 8. August
2019, https://www.de-ipcc.de/254.php (abgerufen am 04.10.2019)
Begründung
Quellen
[1] A. Nicolia, A. Manzo, F. Veronesi, D. Rosellini: An overview of the last 10 years of genetically engineered crop safety research; Critical Reviews in Biotechnology, eingereicht 17.12.2012, angenommen 24.06.2013, https://doi.org/10.3109/07388551.2013.823595 (abgerufen am 19.09.2019)
[2] W. Klümper, M. Qaim: A Meta-Analysis of the Impacts of Genetically Modified Crops; PlosOne, eingereicht 23.06.2014, angenommen 03.10.2014, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0111629 (abgerufen am 19.09.2019)
[3] Committee on Genetically Engineered Crops, Board on Agriculture and Natural Resources, Division on Earth and Life Studies: Genetically Engineered Crops Experiences and Prospects; THE NATIONAL ACADEMIES PRESS, Washington DC 2016, https://www.nap.edu/read/23395/ (abgerufen am 19.09.2019)
[4] C. Snell et al.: Assessment of the health impact of GM plant diets in long-term and multigenerational animal feeding trials: A literature review ; Food and Chemical Toxicology, eingereicht 08.08.2011, angenommen 24.11.2011, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0278691511006399 (abgerufen 19.09.2019)
[5] B. Santis et al.: Case studies on genetically modified organisms (GMOs): Potential risk scenarios and associated health indicators; Food an Chemical Toxiycology, eingereicht 17.03.2017, angenommen 22.08.2017 (abgerufen am 20.09.2019)
[6] World Health Organisation: Frequently asked questions on genetically modified foods ; Mai 2014, www.who.int/foodsafety/publications/biotech/20questions/en/ (abgerufen 20.09.2019)
[7] Europäische Kommission Generaldirektion Forschung und Innovation: A decade of EU-funded GMO research (2001-2010); Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2010, https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/d1be9ff9-f3fa-4f3c-86a5-beb0882e0e65 (abgerufen am 20.09.2019)
[8] M. Sánchez, W. Parrott: Characterization of scientific studies usually cited as evidence of adverse effects of GM food/feed; Plant Biotechnology Journal, veröffentlicht 15.07.2017, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/pbi.12798 (abgerufen am 20.09.2019)
[9] M. Prodhan et al.: Bt eggplant (Solanum melongena L.) in Bangladesh: Fruit production and control of eggplant fruit and shoot borer (Leucinodes orbonalis Guenee), effects on non-target arthropods and economic returns; PlosOne, eingereicht 08.05.2018, angenommen 01.10.2018, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0205713 (abgerufen am 21.09.2019)
[10] C. Comas et al.: No effects of Bacillus thuringiensis maize on nontarget organisms in the field in southern Europe: a meta-analysis of 26 arthropod taxa; Transgenic Research, eingreicht 28.02.2013, angenommen 23.07.2013, https://doi.org/10.1007/s11248-013-9737-0 (abgerufen 21.09.2019)
[11] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat 617-Bioökonomie: 25 Jahre BMBF-Forschungsprogramme zur biologischen Sicherheitsforschung - Umweltwirkung gentechnisch veränderter Pflanzen; Dezember 2014
[12] H. Landry: Challenging Evolution: How GMOs Can Influence Genetic Diversity; Science in the News Harvard Graduate student organization, 10.08.2015, http://sitn.hms.harvard.edu/flash/2015/challenging-evolution-how-gmos-can-influence-genetic-diversity/ (abgerufen 22.09.2019)
[13] A. Goggi et al.: Statistical analysis of outcrossing between adjacent maize grain production fields; Field Crops Research, eingereicht 15.12.2005, angenommen 15.04.2006, https://doi.org/10.1016/j.fcr.2006.04.005 (abgerufen am 22.09.2019)
[14] Europäische Patentrichtlinie Art. 53 b), https://www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/epc/2016/d/ar53.html (abgerufen am 04.10.2019)
[15] Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): Klimawandel und Landsysteme: Ein IPCC-Sonderbericht über Klimawandel, Desertifikation, Landdegradierung, nachhaltiges Landmanagement, Ernährungssicherheit und Treibhausgasflüsse in terrestrischen Ökosystemen. Veröffentlicht am 8. August 2019, https://www.de-ipcc.de/254.php (abgerufen am 04.10.2019)
Änderungsanträge
- L-1-295 (Daniela Ehlers, Eingereicht)