Veranstaltung: | 2. Länderrat 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | P - Aktuelle politische Lage |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 2. Länderrat 2020 |
Beschlossen am: | 26.07.2020 |
Eingereicht: | 27.07.2020, 14:22 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Neue Perspektiven gegen alte Krisen
Beschlusstext
Wir leben in einer krisenhaften Gesellschaft. Die letzten Wochen und Monate
haben uns mehr als deutlich vor Augen geführt, was das bedeutet. Dabei hat
Covid-19 ans Tageslicht gebracht, welche Konsequenzen die Versäumnisse der
letzten Jahre haben. Die Verbreitung von Corona war dabei nicht die Ursache,
sondern Katalysator der Krisen und Symptom der Verfassung unserer Gesellschaft
zugleich. Die Gleichzeitigkeit der gegenwärtigen Krisen stellt uns vor komplexe
Herausforderungen. Stärker als bisher ist nun offensichtlich geworden, dass wir
es uns nicht leisten können, die Probleme, die unzählige Leben jetziger und
zukünftiger Generationen bedrohen, aufzuschieben und uns mit kurzfristigen
Schönheitsreparaturen zufrieden zu geben. Die Gesundheitskrise gefährdet nicht
nur die medizinische Versorgung ganzer Gesellschaften, sondern offenbart auch
die unbeständige Solidarität zwischen Nationen, für die wir weltweit wie in der
Europäischen Union hart gekämpft haben. Die Wirtschaftskrise, unter deren
Vorzeichen schon jetzt unzählige Existenzen bedroht sind, droht unsere
Gesellschaft weiter und tiefer zu spalten als je zuvor. Der tief in unserer
Gesellschaft verankerte Rassismus wirkt als Verstärker bestehender und Erzeuger
neuer Ungleichheitsmechanismen.
Dass wir nun mit diesen Krisen umgehen müssen, sollte niemanden überraschen. Sie
zeigen keine neuen Probleme. Sie sind der Ausdruck einer krisenhaft angelegten
Gesellschaft, deren Mechanismen sich in existenzbedrohender Ungerechtigkeit
zeigen und in unzulänglichen (Ab)Sicherungssystemen manifestieren.
Diese Krisen sind im System angelegt. Krisen sind längst keine kurzfristigen
Ereignisse mehr, die sich mit einzelnen Maßnahmen lösen lassen. Sie sind zum
traurigen Normalzustand geworden, über den zu häufig hinweggesehen wird. Doch
das muss nicht so bleiben. Um diese Krisen wirklich anzugehen und eine bessere
Welt zu erkämpfen, müssen unsere Lösungen an der Wurzel ansetzen: Systembedingte
Probleme brauchen systemverändernde Lösungen!
Wir sehen auch unzählige Menschen, die das erkannt haben. Aktivist*innen
verschiedener Bewegungen schließen sich zusammen und organisieren sich im Kampf
für Gerechtigkeit und eine lebenswerte Zukunft. Gemeinsam stehen wir für
solidarische Wege aus der Krise, die dort ansetzen, wo es notwendig ist. Wir
schaffen neue Perspektiven gegen alte Krisen!
Fight Every Crisis: Klima in der Krise
Starke Momente der Organisierung von Aktivist*innen haben wir in den letzten
Jahren im Kampf gegen die Klimakrise erlebt. Ganze Gesellschaften sind weltweit
auf die Straße gegangen um globale Klimagerechtigkeit und das Recht auf Zukunft
einzufordern. Neben Überschwemmungen, Hitzesommern und Dürreperioden als direkte
Konsequenzen erhöhter Durchschnittstemperaturen steigt auch das Auftreten von
Infektionskrankheiten durch gestörte Ökosysteme mit geringer Biodiversität:
Covid-19 hat erneut gezeigt, welche Auswirkungen der Raubbau an der Natur für
uns haben kann. Um hier entgegenzuwirken, müssen Maßnahmen Hand in Hand gehen:
Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken in der Landwirtschaft, das die
Produktion guter Nahrung unter guten Bedingungen im Rahmen planetarer Grenzen
sicherstellt. Ökosysteme brauchen Platz! Das Eindämmen des Flächenverbrauchs,
der konsequente Kampf gegen vor Umweltverschmutzung und der strenge Schutz von
großen und zusammenhängenden Naturschutzgebieten stellt das sicher.
Effektiver und konsequenter Natur- und Artenschutz ist unsere Existenzbedingung
und muss auch als solche behandelt werden.
Um der Klimakrise wirkungsvoll entgegentreten zu können, fordern wir seit Langem
weltweit das effektive und gezielte Handeln der Regierungen ein. Covid-19 hat
gezeigt, dass dies nicht unmöglich ist. Gemeinsam mit Virolog*innen,
Gesundheitsexpert*innen, den Bundesländern und der Opposition wurden nationale
Maßnahmen und Krisenpläne binnen einer Woche aufgestellt und verabschiedet.
Sogar die Schwarze Null wurde über Bord geworfen, um die Konsequenzen der
Pandemie einzudämmen. Auch die Klimakrise muss als politische Krise ernst
genommen und als solche behandelt werden. Das Eindämmen der Klimakrise erfordert
noch tiefgreifendere Veränderungen – doch sie trifft uns auch weniger
unerwartet. Sie zu bewältigen erfordert ein hohes Maß an demokratischer
Teilhabe: Demokratie bedeutet, dass Menschen über die sie betreffenden Umstände
selbst mitentscheiden können. Eine klimaneutrale Gesellschaft kann nicht einfach
von oben verordnet werden. Sie zu erreichen, ist ein komplexer
Aushandlungsprozess, in dem zentrale und dezentrale Initiativen Hand in Hand
gehen müssen. Wir brauchen partizipative Räume, wie bspw. Bevölkerungsräte, um
staatliches und zivilgesellschaftliches Handeln zusammen zu bringen.
Die Krisen unserer Zeit hängen zusammen: Ihre strukturellen Ursachen gleichen
sich. Sie müssen gemeinsam und konsequent bekämpft werden. Der Weg aus der Krise
kann nur durch systematische Lösungen gelingen.
Klatschen zahlt keine Miete: Gesundheit in der
Krise!
Covid-19 hat unsere Gesundheitssysteme weltweit auf den Prüfstand gestellt. Wir
konnten deutlich sehen, dass sie den Anforderungen nicht gewachsen sind. Dabei
haben wir beobachtet, wie die von der europäischen Austeritätspolitik
gebeutelten Gesundheitssysteme in Südeuropa besonders hart getroffen wurden. Die
Folgen sind verheerend und zeigen uns unmissverständlich, dass die
Ökonomisierung von Gesundheitssystemen tödlich ist. Doch auch in Deutschland
wurde das Gesundheitssystem systematisch kaputtgespart. Die Umsetzung von
Profitlogiken im Gesundheitsbereich zeigt sich auch hier im Abbau von Betten und
der seit Jahren anhaltenden Pflegekrise. Die Bedürfnisse von Patient*innen und
Pfleger*innen sind weit in den Hintergrund gerückt. Die Corona-Pandemie hat
jedoch verschärft gezeigt, wie wichtig sie sind, wenn wir besonders auf eine
funktionierende Gesundheitsversorgung angewiesen sind.
Die Wertschätzung der Arbeit von Pfleger*innen wurde vor allem durch abendlichen
Applaus sichtbar. Der angekündigte Pflegebonus sollte sie – zumindest einmalig –
auch auf dem Lohnzettel abbilden. Dass dieser nun ausschließlich einer kleinen
Gruppe der Beschäftigten zu Gute kommen soll, ist weder angesichts der hohen
alltäglichen Arbeitsbelastung, noch als Ausdruck der Wertschätzung im Rahmen der
Krise angemessen. Ein flächendeckender Bonus von 1.500 € für alle
gesellschaftsrelevanten Berufe wäre ein erster guter Schritt zu angemessener
Wertschätzung und Bezahlung. Doch es geht um mehr als einmalige Boni: Um unser
Gesundheitssystem zu sichern, müssen sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege
endlich verbessern und endlich ein fairer Tariflohn für die Pflege her!
Die Gesundheitsversorgung hat die bestmögliche Versorgung von Patient*innen zum
Zweck. Ein Vergütungssystem, dass sich nach Fallpauschalen richtet, zwingt aber
zur Orientierung am Erlös statt an der Patientin. Für eine gute
Gesundheitsversorgung muss sich die Finanzierung nach dem Bedarf richten, nicht
nach der Zahl der Fälle.
Gesundheit ist keine Ware und die Gesundheitsversorgung von Menschen darf nicht
als solche behandelt werden. Unsere Gesundheit ist mehr wert als die Profite
einzelner!
Die Pandemie hat einen weiteres Konfliktfeld in den Mittelpunkt gerückt:
Öffentlicher Raum muss neu aufgeteilt werden. Mehr Platz für nachhaltige
Mobilität, Außengastronomie und öffentlichen Raum für Begegnung und Freizeit
schützt die Gesundheit nicht nur in der Corona-Krise: Wenn Autos ersetzt und
Luft- und Lärmverschmutzung reduziert werden, steigt die Lebensqualität auch
nach der Krise dauerhaft. Die Aufgrund der Pandemie nötigen Veränderungen müssen
jetzt genutzt werden, um auch langfristig den öffentlichen Raum in den Städten
gerecht zu verteilen!
Durch die globale Bedrohung ist allerdings auch noch eine weitere Wahrheit
deutlich geworden. Nicht nur unsere Gesundheitsversorgung, auch die Solidarität
zwischen Ländern weltweit und in der Europäischen Union steht auf wackeligen
Füßen: Die Gesundheitskrise ist auch zur Solidaritätskrise geworden. Die erste
Antwort der europäischen Nationalstaaten waren Grenzschließungen und
Exportstopps für überlebenswichtige Güter. Doch eine globale Krise lässt sich
nicht mit Nationalismus lösen! Was wir brauchen, sind gemeinschaftliche
Lösungen, von denen alle profitieren. Im global angelegten Wettstreit um
Wachstumsraten und Exportrekorde ist Solidarität nicht angelegt. An diesen
Grundsätzen müssen wir rütteln, wenn wir gemeinsam erzeugte und erlebte Krisen
nicht auf dem Rücken Schwächerer austragen wollen. Bedingungslose Finanzhilfen
und die koordinierte Produktion und Verteilung von medizinischer Ausrüstung und
Medikamenten öffnen Perspektiven für eine andere Form globaler Kooperation.
Weltweite Solidarität muss der Wegweiser für eine universale Krisenbekämpfung
sein!
Ein Rettungsschirm für die Menschen:
Wirtschaftskrise auffangen!
Das Konjunkturpaket der Bundesregierung soll die Wirtschaft aus der Krise
bringen. Doch die 130 Milliarden Euro versprechen für die meisten hier lebenden
Menschen keine ausreichende Verbesserung und Absicherung. Denn die
Wirtschaftskrise trifft nicht alle gleich: Die finanzielle Last tragen zur Zeit
vor allem die, die auch schon vor der Krise mit Existenznot gelebt haben.
Während Manager*innen noch immer hohe Summen einstreichen, leben etliche
Beschäftigte in Kurzarbeit mit Gehältern, die kaum zum Leben reichen. Die
Refinanzierung dieser Hilfen über Steuergelder und öffentliche Einnahmen trifft
wiederum Geringverdiener*innen am Stärksten. Wir brauchen ein progressives
Refinanzierungsmodell und eine klare Zweckbestimmung der Gelder – nur so können
sie uns aus der Krise helfen!
Schon die ersten Wochen nach den Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben
uns gezeigt, worauf wir uns einstellen müssen: Die Arbeitslosigkeitsraten
steigen, tausende Beschäftigte sind in Kurzarbeit und können von diesem Lohn nur
mühsam leben. Prekäre Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse erleben während der
Krise einen traurigen Aufschwung. Investitionen in die Rettung von Unternehmen
sind wichtig, um kurzfristig Arbeitsplätze zu erhalten und so zahlreiche
Existenzen zu sichern. Dabei müssen wir dennoch vor allem diejenigen
berücksichtigen, die schon zu oft durch das Raster gefallen sind. Eine sofortige
Erhöhung der Hartz-IV-Sätze um 200 € und eine allgemeine Krisengrundsicherung
schützen Existenzen vor der gestiegenen finanziellen Belastung und Unsicherheit.
Auch junge Menschen und ihre Zukunftspläne sind stark von der Wirtschaftskrise
getroffen. Sie wissen nicht, wie es in Ihren Betrieben weiter geht oder wie sie
ihren Lebensunterhalt ohne Nebenjob finanzieren sollen. Das Lernen in der
Ausbildung oder an der Universität sollte hier im Fokus stehen. Kurzarbeit und
Existenzängste sind dabei nur hinderlich. Hier sind unbürokratische Lösungen
notwendig: Die Öffnung der BAföG-Förderung und die Erhöhung der BAföG Sätze für
Student*innen sowie die direkte Unterstützung Auszubildender sind längst
überfällig.
Die entstehende Kluft zwischen geringerem Einkommen und gleichbleibender hoher
Miete führt bei vielen dazu, dass bereits in jungem Alter Schulden aufgenommen
werden müssen. Nach Auslaufen des Mietmoratoriums und des Kündigungsverbots ist
politisches Handeln umso dringender. Als direkte Maßnahme braucht es eine
Verlängerung des Mietmoratoriums, einen Erlass von coronabedingten Mietschulden
und eine Anpassung der Mietpauschalen in BafÖG und Grundsicherung. Für uns ist
klar: Wohnen ist ein Menschenrecht! Jedem Menschen steht das Recht auf ein Dach
über dem Kopf zu – unabhängig vom Geldbeutel. Um dieses Recht gewährleisten zu
können, darf Wohnraum nicht der Profitmaximierung ausgesetzt sein, muss der
Wohnungsbau in die öffentliche Hand gebracht werden und dem Gemeinwohl
verpflichtet werden.
Die Krise zeigt uns jedoch auch, dass eine Existenzsicherung nicht an Lohnarbeit
geknüpft sein darf und Investitionen vor allem auch in belastbare und
verlässliche Sicherungssysteme getätigt werden müssen.
Wir müssen diese Krise gemeinsam meistern und dabei gleichzeitig bestehende
Einkommens- und Vermögensungleichheiten abbauen. Ihre Bewältigung darf nicht auf
dem Rücken derer ausgetragen werden, die im bestehenden System durch neoliberale
Marktmechanismen in die Armut gedrängt werden. Was wir jetzt brauchen, sind
Investitionsmaßnahmen, die uns als Gesellschaft näher zusammen bringen und nicht
die Konfliktlinien zwischen Generationen oder marginalisierten
Gesellschaftsgruppen aufreißen.
Die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung werden diesem Anspruch nicht
gerecht. Es fehlt an progressiven Umverteilungsmechanismen, die der sozialen
Spaltung unserer Gesellschaft auch langfristig entgegenwirken können. Wir
brauchen endlich eine Grundsicherung, die den Menschen in seiner Würde und
seinen Möglichkeiten nicht einschränkt – sanktionslos und mit genügend
Absicherung für soziale Teilhabe. Investitionspakete müssen an diesem Anspruch
gemessen werden. Nur der sozial-ökologische Umbau unserer Wirtschaft kann uns
aus der Krise führen!
Gesellschaft in der Krise: Solidarität,
Zusammenhalt und Antirassismus
Krisen befeuern die gesellschaftliche Spaltung mit populistischen Erzählungen.
Dies zeigt sich beispielsweise in den selbsternannten „Hygiene“-Demonstrationen,
die besonders stark von antisemitischen Ideologien und Verschwörungsmythen
geprägt sind. Statt einer sachlichen Auseinandersetzung über sinnvolle und
effektive Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden hier vermeintliche
Schuldige ausgemacht und jahrhundertealte Mythen wieder belebt. Insbesondere
Akteur*innen der Neuen Rechten versuchen aus diesem Demonstrationen politisches
Kapital zu schlagen. Doch die Sicherheitsbehörden zeigen derzeit in einigen
Fällen ein ausgeprägtes Nicht-Handeln. Attila Hildmann beispielsweise konnte auf
offener Bühne Morddrohungen gegen Volker Beck aussprechen, ohne dass die Polizei
eingeschritten wäre. Durch dieses Wegschauen wird die extreme Rechte in ihrem
Handeln bestärkt statt in die Schranken gewiesen! Wir stellen uns daher
entschlossen gegen diese Akteur*innen und fordern konsequentes Handeln gegen
rechte Strukturen ein. Menschenfeindliche Ideologien können niemals den Weg aus
der Krise weisen! Ein Effekt jeder Krise ist die gesellschaftliche
Verunsicherung. Damit diese Verunsicherung Hass, Diskriminierung und
Ausschließung nicht noch weiter verstärkt, brauchen wir eine effektive Sicherung
von Existenzen, transparente Entscheidungsfindung und die Weitergabe von
Informationen auf Augenhöhe.
In der Krise zeigen sich Symptome des seit Jahren voranschreitenden autoritären
Umbaus in Europa und weltweit. Wir sind uns bewusst, dass Krisenzeiten diese
Entwicklungen begünstigen können. Daher muss unsere Antwort auf die Krise immer
von Solidarität geleitet sein. In aller Deutlichkeit solidarisieren wir uns als
Grüne Jugend mit der Black Lives Matter-Bewegung und den weltweit stattfinden
Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. Der Mord an George Floyd hat eine
dringend notwendige Debatte über strukturellen und institutionalisierten
Rassismus ausgelöst – weit über die USA hinaus. Diese tief verankerten Rassismen
müssen wir auch in Deutschland mit aller Entschlossenheit bekämpfen.
Da derzeit aufgrund der Infektionsgefahr viele Bars und Clubs geschlossen sind,
treffen sich junge Menschen vermehrt im öffentlichen Raum. Dort werden sie
jedoch, auch abseits von Verstößen gegen die Hygieneregeln, zuletzt immer
häufiger von Polizei und Ordnungsämtern verdrängt. Junge Menschen brauchen Räume
in der Öffentlichkeit. Die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum trifft häufig
besonders die Menschen, die durch Konsumzwang oder rassistische Zuschreibungen
ausgeschlossen werden. Menschen brauchen Freiräume; in einer Zeit, in der ein
Treffen draußen viel sicherer ist, gilt das erst recht! Wir sprechen uns
deswegen gegen die Verdrängung junger Menschen aus dem öffentlichen Raum aus.
Darüber hinaus gab es in den letzten Wochen beim Auftreten von Kriminalität und
Verstößen gegen Hygienemaßnamen immer wieder den Versuch, diese zu ethnisieren
und der migrantischen Community eine allgemein größere Neigung zu Kriminalität
zuzuschreiben. Die Grüne Jugend verurteilt diese rassistischen Zuschreibungen
und fordert alle Sicherheitsbehörden auf, solche Handlungen zu unterlassen.
Die Debatte in Deutschland und Europa darf nicht mit warmen Worten enden,
sondern muss in tiefgreifenden Veränderungen münden. Insbesondere in der
gegenwärtigen Asylpolitik, unzulänglichen sozialpolitischen Maßnahmen und den
Sicherheitsbehörden wird der strukturelle und institutionalisierte Rassismus
deutlich. Statt reflexartig die deutsche Polizei von Rassismus frei zu sprechen,
brauchen wir eine ehrliche und umfassende Analyse über herrschende rassistische
Strukturen und Praktiken. Die Skandale der letzten Monate in deutschen
Sicherheitsbehörden wie das rechtsextreme Netzwerk Hannibal, der NSU 2.0 und die
zahlreichen Opfer deutscher Polizeigewalt machen dies nur allzu deutlich.
Die gesellschaftliche Debatte über Ausgrenzung und Rassismus muss sich in allen
staatlichen Institutionen und dem Sicherheitsapparat manifestieren. Eine
umfassende Reform der Polizei beinhaltet unter Anderem die anonyme
Kennzeichnungspflicht für alle Einheiten, externe Ermittlungs- und
Beschwerdestellen durch unabhängige Polizeibeauftragte sowie die
Entmilitarisierung und rechtsstaatliche Begrenzung von Befugnissen. Nur durch
eine neue Fehlerkultur und die vertiefte Ausbildung zu Deeskalationsstrategien
und Antirassismus kann der gefährliche Korpsgeist der Polizei gebrochen werden.
Als Ideologie der Ungleichheit legitimiert Rassismus auch soziale Unterschiede
in unserer Gesellschaft. Hier müssen wir das Problem an der Wurzel packen:
Historisch erzeugte soziale und finanzielle Benachteiligungen müssen abgebaut
und ausgeglichen werden. Eine mutige Sozialpolitik, die Vielfalt und Teilhabe
fördert, ist unerlässlicher Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Sie
muss Baustein einer antirassistischen Politik sein.
Seite an Seite kämpfen wir gegen rassistische Strukturen und rassistisches
Gedankengut. Dieser Kampf muss ernst genommen werden. Nur durch konsequentes und
ehrliches Handeln können wir den Rassismus überwinden. Was wir brauchen, sind
Lösungen, die Sicherheit, soziale und demokratische Teilhabe für alle
garantieren und in die alle gleichermaßen vertrauen können!
Neue Perspektiven gegen alte Krisen
Die Wege aus der Krise müssen zu einem selbstbestimmten Leben in Freiheit und
Würde für alle Menschen führen. An diesem Ziel müssen sich auch die Maßnahmen
der Krisenbekämpfung orientieren.
Die öffentliche Debatte über die strukturellen Ursachen der Krisen wird noch zu
wenig geführt. Dennoch sind ihre Anfänge eine Chance, um echte Veränderungen auf
den Weg zu bringen. Dieses Handlungsfenster müssen wir nutzen, wenn wir gestärkt
aus der Krise hervorgehen wollen. Resilienz und Solidarität müssen dabei die
Wegweiser für eine effektive Krisenpolitik sein.
Wir stellen uns gemeinsam den komplexen Herausforderungen unserer Zeit. Als
Organisation und Teil einer weltweiten Bewegung für tiefgreifende Veränderungen
bringen wir die Kämpfe zusammen, die zusammen gehören. Es wird Zeit für neue
Lösungen!